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55°47,8´N, 10° 31,8´E
Täglich, stündlich wandelt sich das Meer, das Wetter, die Laune, die körperliche Verfasstheit.
Wandel ist die Grundlage einer Segelreise, keine Ahnung, ob es für jeden der Hauptgrund ist, viele reden ja von der Freiheit auf dem Meer, von den sportlichen Herausforderungen – für mich ist es der Wandel, die stete Konfrontation mit der Ohnmacht und der Überwindung derselben durch das Tun oder der Nichtüberwindung, dem Ausgeliefertsein, der Ohnmacht gegen Wetter, Wellen und den engen Häfen der Welt. Ein ganz passendes Bild für unser Dasein. Soweit die Theorie und nun zur Praxis:
Nach drei Tagen in Nyborg (netter Hafen, schönes Städtchen auf Fünen, da ist nichts dagegen zu sagen), weil es draußen zu heftig weht für Mannschaft und Schiff, legen wir ab. Der Wind ist schwach, was aber nicht so schlimm ist, denn er kommt sowieso von vorn. Das erste Abenteuer ist die Durchfahrt unter der Beltbrücke. 18 Meter soll die Höhe sein, unser Schiff kommt mit Mast auf etwas über 16 Meter. Das müsste passen. Das Schiff der Freunde hat knapp unter 18 Meter. Sie fahren zur höheren Durchfahrt, was die Strecke um sieben Meilen verlängert. Da das angepeilte Ziel auf Samsö ca. 25 Meilen entfernt ist, wären das noch mal anderthalb Stunden mehr. Wir nehmen Kurs auf Nummer 1.
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54° 26,0' N, 13° 01,44' E
And here we go again …
Das ist unser 25. Sommer auf See, auf dem Wasser, und es ist immer noch aufregend, immer noch wunderschön, still und weit, so bekannt und immer wieder neu.
Das Schiff ist mit uns alt geworden oder besser älter geworden, genau wie wir war es nicht mehr ganz jung bei unserem Kennenlernen, schon in der Mitte des Lebens mit den ersten Zipperlein. Wir hatten einige Sommer schon mit anderen Booten verbracht, bevor wir uns in dieses Abenteuer wagten. Lange Geschichte, die hier nicht erzählt wird.
Die wilden Jahre sind nun vorbei. Ganz plötzlich sind wir auch eines dieser älteren Paare mit silbrigen, gar weißem Schopf, die mit ihren mehr oder weniger gut gepflegten Schiff die Meere, in unseren Fall das Baltische und Umgebung bereisen. Wir lassen Stürme und Starkwind im Hafen vorüberziehen (im Grunde braucht so etwas niemand), die Etmale werden kürzer (wer will schon Meilen schrubben) und die Hafentage länger.
Wir legen also ab für einen weiteren Skandinavien Sommer, alle Handgriffe so vertraut, auch das Motorbrummen, denn der Wind weht wie stets von vorn. Doch die Sonne scheint, womit nicht immer zu rechnen ist. Also per Motor durch die Brücke und zum ersten Ankerplatz hinter Barhöft, nur ein kurzes Stück vor der offenen See, auf die es morgen hinausgeht.
Am hellen Sommerhimmel leuchten die Ankerlichter der Schiffe.
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33° 23' 23.208" S 70° 47' 39.937" W
Da waren wir also glücklich und sicher bei unseren Freunden in Villarica gelandet, schliefen in einem weichen Bett mit Blick auf den Vulkan und dachten: „Erstmal abwarten, wie sich die Lage entwickelt, wir haben Zeit, unser regulärer Rückflug geht in sechs Wochen, vielleicht schaffen wir es ja doch bis dahin nach Buenos Aires.” Was man halt so denkt, erst einmal, gerade an einem schönen Ort mit netten Menschen. „Bleibt bloß dort”, sagen auch die Freunde am Telefon. Die Camper-Gemeinde ist hauptsächlich auch dafür, sich einen sicheren Ort zu suchen und abzuwarten. Aus ganz Südamerika kommen die Nachrichten — wo sollen sie auch hin mit dem Wagen, die Grenzen zu den Nachbarländern sind dicht, die Häfen auch. Einige fahren an einsame Strände, andere auf abgelegene Campingplätze, wo ein netter Gastgeber die Einkäufe erledigt.
So ist es auch bei uns, denn in der Stadt herrscht Aufregung, weil jemand aus Santiago das Virus hereingebracht hat. Wir leben abgeschieden und doch in Gemeinschaft, mit unseren Gastgebern und einer jungen Frau aus der Schweiz mit Kind, recht komfortabel, sogar für Monate. Sicherheitshalber trage ich uns doch auf die Krisenvorsorgeliste des Auswärtigen Amts ein, und ich bin erleichtert, als es nach zwei Tagen Serverüberlastung endlich klappt. Man weiß ja nie. Jeden Tag kommen neue, beunruhigende Nachrichten, inzwischen natürlich auch eine Reisewarnung und Rückholaktionen für andere Länder. Jeder zweite Flug wird annulliert und die Lage auf den Straßen ist unklar. Das Konsulat in Temuco rät auch eher zum Abwarten, wenn wir nicht dringend reisen wollen. Die Flugpreise schnellen in die Höhe und Direktflüge nach Deutschland gibt es nicht. Gerüchte über auf Flughäfen Gestrandete machen die Runde. Wir sind an einem sicheren Ort und bleiben.
Im Netz bröckelt die Fraktion der Bleibenden, dafür bieten immer mehr Leute ihre Hilfe an, die auch dringend gebraucht wird. Campingplätze, Stellplätze, Rat und Tat. Sogar die strenge Zollbehörde Chiles erlaube nun eine Verlängerung der dreimonatigen Einfuhr eines ausländischen Fahrzeugs, heißt es. Dann kommt die Nachricht, dass die Botschaft sich um Rückholflüge aus Chile kümmert. Termine stehen noch nicht fest. Es gibt eine weitere Liste, auf die man sich täglich eintragen muss, um den Bedarf festzustellen. In der Anlage eine Art Passierschein für die Fahrt nach Santiago (nicht rechtsverbindlich und bei Ausgangssperren ungültig), sowie ein Formular zur Kostenübernahme des Flugtickets (diese Flüge sind nämlich nicht umsonst, sondern ganz regulär bezahlbar, nur kommt die Rechnung erst in der Heimat).
Sollen wir ohne einen Flugtermin nach Santiago? Kommen wir überhaupt durch? Und falls irgendwas schiefläuft, wie kommen wir wieder zurück? Michael schlägt einen Hubschrauberflug vor. Mein findiger Fahrer schaut mich an, ich schaue zurück. Nein, wir bleiben, und an diesem Abend fühlt es sich so richtig und gut an, dass auch das Hilfegesuch eines weiteren Schweizer Paars mit Campmobil auf ganz offene Ohren und Herzen stößt. Am nächsten Abend sind wir schon sechs Gestrandete. Mit unseren Gastgebern sind wir nun vier Frauen, drei Männer und zwei Kinder, die am Tisch zusammensitzen. Eine richtig nette Wohngemeinschaft auf Zeit.
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32° 49' 45'' S, 70° 04' 45'' W
„Wir sollten schnellsten nach Uruguay“, sagt mein findiger Fahrer am Morgen. Nach zwei Tagen an einem einsamen Pazifikstrand hat uns die Nachricht von Grenzschließungen erreicht. Vier Wochen lang keine Flüge aus und nach Europa mehr von Buenos Aires. Nun liegt unser Rückflug zwar nach der Sperre, aber wer weiß. Sicherer ist es abzubrechen, das Wohnmobil sicher unterzustellen, nämlich in Uruguay, wo es 12 Monate bleiben kann, und eventuell einen früheren Rückflug zu buchen. Eine kurze Nachfrage im Netz zeigt, dass viele sich auf den Weg machen. Große Sorgen machen wir uns noch nicht, schließlich sind wir seit Monaten in Südamerika, weit vor einem Corona-Ausbruch in Deutschland, das können wir mit den Eintragungen im Pass nachweisen. „So schnell geht das alles nicht”, denken wir, fahren los, doch noch im Reisemodus, kehren mittags in einem guten Restaurant ein, wo uns der Besitzer seinem Vater vorstellt, der auch ein begeisterter Reisemobilist ist. Wir kommen ins Reden, ins Zeigen. So wird es eine lange Pause, und wir übernachten noch einmal in Chile.
Am nächsten Morgen erfahren wir, dass Chile in zwei Tagen alle Grenzen schließt. Also höchste Zeit! Durch einen unnötigen Umweg in Santiago (Verirren auf den Autobahnen) und ein nötigen in Los Andes (Tanken) ist es schon Abend, als wir uns auf die Passstraße begeben, inmitten von LKW-Kolonnen. Kurz überlegt der findige Fahrer den Grenzübertritt auf morgen zu verschieben, entscheidet sich dann aber doch für die 28 Serpentinen und den Tunnel auf 3500 Metern.
Es klappt auch alles ganz gut, das Auto hält durch, die Ausblicke sind tief und faszinierend, ein riesengroßes beleuchtetes Schild verabschiedet uns aus Chile.
Der Mann im Häuschen nach dem Tunnel notiert unser Kennzeichen und die Personenzahl. „Aduana a 17 kilometros”. Wir fahren zwischen hoch aufragenden, gezackten Felsformationen, die langsam in der Dämmerung verschwimmen, fahren durch das Grenzgebiet mit vielen Aussichtspunkten und Wanderwegen, die wir auf einen späteren Besuch verschieben. Dann kommt die Grenzstation, hier werden Busse abgefertigt und wo dann andere Fahrzeuge? Es ist stockdunkel, wir sind schon weit über den 17 Kilometern. Der findige Fahrer dreht um, auch in dieser Richtung finden wir nichts. Wieder kehrt, und da oben sehen wir ein Licht, fahren darauf zu, doch an allen drei Grenzhäuschen leuchtet es rot. Wir drehen Kreise, fahren auf einem anderen Weg hinein und sehen endlich Menschen.