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56° 42,9' N, 11° 30,6' E
Jeden Morgen der Blick in den Himmel und in den Wetterbericht, manchmal auch in umgekehrter Reihenfolge. Beides hat eher durchschnittliche Vorhersagequalitäten — es sind eher Tendenzen mit nicht wenig Wahrscheinlichkeit, dass alles doch ganz anders kommt, wie zum Beispiel der nicht angesagte Regen am Abend beim Einlaufen in den Hafen von Grenaa. Hinzu kommen die vier unterschiedlichen Beurteilungen der Lage durch vier SeglerInnen.
Als nächstes soll es hinaus aufs Kattegat zur Insel Anholt, am besten natürlich unter Segeln. Dafür sieht es morgen schlecht aus, da sind sich die fünf Wetterberichte einig, und die Aussicht auf eine Fahrt unter Motor löst am Tisch keine Begeisterung aus. Leider sind die Vorhersagen für die folgenden Tage nicht ganz so eindeutig, von schönem Segelwind über mehrere Stunden Regen bis zu Starkwind am Nachmittag ist alles dabei. In der Beurteilung gehen unsere Meinungen noch mehr auseinander. Nach reichlichem, lebhaften Abwägen verschieben wir die Entscheidung auf den nächsten Morgen; die Vorhersagen ändern sich noch schneller als das Wetter.
Am Morgen schauen wir zum ersten Mal in diesem Urlaub in einem Himmel mit unzähligen Grauschattierungen, nach der drückenden Hitze der letzten Tage ist das nicht schlecht, doch die Wetterberichte sind sich weiterhin uneinig, was die nächsten Tage betrifft, und irgendwann zwischen Kaffe und Waschhausbesuch fällt die Entscheidung, sofort auszulaufen. Die Insel lockt, das graue Grenaa erscheint nicht attraktiv und „Vielleicht ist ja draußen doch etwas Wind“, meint mein Kapitän. Also Leinen los.
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55°47,8´N, 10° 31,8´E
Täglich, stündlich wandelt sich das Meer, das Wetter, die Laune, die körperliche Verfasstheit.
Wandel ist die Grundlage einer Segelreise, keine Ahnung, ob es für jeden der Hauptgrund ist, viele reden ja von der Freiheit auf dem Meer, von den sportlichen Herausforderungen – für mich ist es der Wandel, die stete Konfrontation mit der Ohnmacht und der Überwindung derselben durch das Tun oder der Nichtüberwindung, dem Ausgeliefertsein, der Ohnmacht gegen Wetter, Wellen und den engen Häfen der Welt. Ein ganz passendes Bild für unser Dasein. Soweit die Theorie und nun zur Praxis:
Nach drei Tagen in Nyborg (netter Hafen, schönes Städtchen auf Fünen, da ist nichts dagegen zu sagen), weil es draußen zu heftig weht für Mannschaft und Schiff, legen wir ab. Der Wind ist schwach, was aber nicht so schlimm ist, denn er kommt sowieso von vorn. Das erste Abenteuer ist die Durchfahrt unter der Beltbrücke. 18 Meter soll die Höhe sein, unser Schiff kommt mit Mast auf etwas über 16 Meter. Das müsste passen. Das Schiff der Freunde hat knapp unter 18 Meter. Sie fahren zur höheren Durchfahrt, was die Strecke um sieben Meilen verlängert. Da das angepeilte Ziel auf Samsö ca. 25 Meilen entfernt ist, wären das noch mal anderthalb Stunden mehr. Wir nehmen Kurs auf Nummer 1.
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54° 26,0' N, 13° 01,44' E
And here we go again …
Das ist unser 25. Sommer auf See, auf dem Wasser, und es ist immer noch aufregend, immer noch wunderschön, still und weit, so bekannt und immer wieder neu.
Das Schiff ist mit uns alt geworden oder besser älter geworden, genau wie wir war es nicht mehr ganz jung bei unserem Kennenlernen, schon in der Mitte des Lebens mit den ersten Zipperlein. Wir hatten einige Sommer schon mit anderen Booten verbracht, bevor wir uns in dieses Abenteuer wagten. Lange Geschichte, die hier nicht erzählt wird.
Die wilden Jahre sind nun vorbei. Ganz plötzlich sind wir auch eines dieser älteren Paare mit silbrigen, gar weißem Schopf, die mit ihren mehr oder weniger gut gepflegten Schiff die Meere, in unseren Fall das Baltische und Umgebung bereisen. Wir lassen Stürme und Starkwind im Hafen vorüberziehen (im Grunde braucht so etwas niemand), die Etmale werden kürzer (wer will schon Meilen schrubben) und die Hafentage länger.
Wir legen also ab für einen weiteren Skandinavien Sommer, alle Handgriffe so vertraut, auch das Motorbrummen, denn der Wind weht wie stets von vorn. Doch die Sonne scheint, womit nicht immer zu rechnen ist. Also per Motor durch die Brücke und zum ersten Ankerplatz hinter Barhöft, nur ein kurzes Stück vor der offenen See, auf die es morgen hinausgeht.
Am hellen Sommerhimmel leuchten die Ankerlichter der Schiffe.
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33° 23' 23.208" S 70° 47' 39.937" W
Da waren wir also glücklich und sicher bei unseren Freunden in Villarica gelandet, schliefen in einem weichen Bett mit Blick auf den Vulkan und dachten: „Erstmal abwarten, wie sich die Lage entwickelt, wir haben Zeit, unser regulärer Rückflug geht in sechs Wochen, vielleicht schaffen wir es ja doch bis dahin nach Buenos Aires.” Was man halt so denkt, erst einmal, gerade an einem schönen Ort mit netten Menschen. „Bleibt bloß dort”, sagen auch die Freunde am Telefon. Die Camper-Gemeinde ist hauptsächlich auch dafür, sich einen sicheren Ort zu suchen und abzuwarten. Aus ganz Südamerika kommen die Nachrichten — wo sollen sie auch hin mit dem Wagen, die Grenzen zu den Nachbarländern sind dicht, die Häfen auch. Einige fahren an einsame Strände, andere auf abgelegene Campingplätze, wo ein netter Gastgeber die Einkäufe erledigt.
So ist es auch bei uns, denn in der Stadt herrscht Aufregung, weil jemand aus Santiago das Virus hereingebracht hat. Wir leben abgeschieden und doch in Gemeinschaft, mit unseren Gastgebern und einer jungen Frau aus der Schweiz mit Kind, recht komfortabel, sogar für Monate. Sicherheitshalber trage ich uns doch auf die Krisenvorsorgeliste des Auswärtigen Amts ein, und ich bin erleichtert, als es nach zwei Tagen Serverüberlastung endlich klappt. Man weiß ja nie. Jeden Tag kommen neue, beunruhigende Nachrichten, inzwischen natürlich auch eine Reisewarnung und Rückholaktionen für andere Länder. Jeder zweite Flug wird annulliert und die Lage auf den Straßen ist unklar. Das Konsulat in Temuco rät auch eher zum Abwarten, wenn wir nicht dringend reisen wollen. Die Flugpreise schnellen in die Höhe und Direktflüge nach Deutschland gibt es nicht. Gerüchte über auf Flughäfen Gestrandete machen die Runde. Wir sind an einem sicheren Ort und bleiben.
Im Netz bröckelt die Fraktion der Bleibenden, dafür bieten immer mehr Leute ihre Hilfe an, die auch dringend gebraucht wird. Campingplätze, Stellplätze, Rat und Tat. Sogar die strenge Zollbehörde Chiles erlaube nun eine Verlängerung der dreimonatigen Einfuhr eines ausländischen Fahrzeugs, heißt es. Dann kommt die Nachricht, dass die Botschaft sich um Rückholflüge aus Chile kümmert. Termine stehen noch nicht fest. Es gibt eine weitere Liste, auf die man sich täglich eintragen muss, um den Bedarf festzustellen. In der Anlage eine Art Passierschein für die Fahrt nach Santiago (nicht rechtsverbindlich und bei Ausgangssperren ungültig), sowie ein Formular zur Kostenübernahme des Flugtickets (diese Flüge sind nämlich nicht umsonst, sondern ganz regulär bezahlbar, nur kommt die Rechnung erst in der Heimat).
Sollen wir ohne einen Flugtermin nach Santiago? Kommen wir überhaupt durch? Und falls irgendwas schiefläuft, wie kommen wir wieder zurück? Michael schlägt einen Hubschrauberflug vor. Mein findiger Fahrer schaut mich an, ich schaue zurück. Nein, wir bleiben, und an diesem Abend fühlt es sich so richtig und gut an, dass auch das Hilfegesuch eines weiteren Schweizer Paars mit Campmobil auf ganz offene Ohren und Herzen stößt. Am nächsten Abend sind wir schon sechs Gestrandete. Mit unseren Gastgebern sind wir nun vier Frauen, drei Männer und zwei Kinder, die am Tisch zusammensitzen. Eine richtig nette Wohngemeinschaft auf Zeit.