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Gedanken im Kattegat
57° 33' 0'' N, 11° 55' 24'' E
Sobald sich ein Sonnenstrahl im nordischen Sommer zeigt, findet das Leben draußen statt. Da reichen die Tische der kleinen Bar am Pier in Kullavik kaum aus, da fahren die Boote zu den Schären und Ankerbuchten, da sonnt sich Mensch und Tier auf Felsen, Stegen und Schiffen. Und nach diesem herrlichen Sonnentag, nach einem, zugegeben kurzen, Bad am Steg und einem, sehr viel längeren, Grillabend fahren wir am Morgen hinaus aufs Kattegat zur Insel Läsö, weil der Wind gerade gut steht. Aus der richtigen Richtung und in moderater Stärke für einen längeren Törn.
Das tut er auch, die Richtung stimmt, doch statt das Leichtwindsegel herauszuziehen, binden wir doch lieber ein Reff in Groß und Vorsegel. Recht ruppig ist es auf den ersten fünfzehn Meilen, aber dafür schnell, was auch ein Vorteil ist, denn so werden wir zum Kaffee im Hafen sein und wahrscheinlich auf einen Platz finden. No Problem, laut Auskunft des Hafenmeisters. Und genau auf der Hälfte der dreißig Meilen wird es ruhiger, segeln wir mit vollen Segeln dem Hafen entgegen. Mein Blick kann vom Windmesser in die Weite schweifen — um uns herum nur das Meer, und am Horizont ein paar weiße Segel, winzig klein. Für die Segler dort sind wir auch nur ein kleines weißes Segel auf der weiten See. Winzig in Relation zu Wasser und Wellen, winzig in Relation zu Welt.
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Hoffen und harren oder Schären im Sturm
57° 53' 36'' N, 11° 41' 6'' E
Wenn das Wetter gut zum Herbst oder einem verregneten Frühjahr passen könnte, einschließlich und vor allem bezüglich der Temperaturen, dann ist man in ich, ob Västra Götaland, kurz vor dem Übergang vom Kattegatt ins Skagerak. So zumindest in diesem Julisommer. In der ersten Woche gönnen wir es der dürstenden Natur, in der zweiten hoffen wir noch auf ein baldiges Ende, nach drei Wochen sinkt die Laune und als es in der vierten so weitergeht, ergeben wir uns dem Schicksal.
Wir hangeln uns von Insel zu Insel mit Wind, ohne Wind, mit Regen, aber auch mit Sonne, mit stets wechselnden Wolkenformationen. Denn das können sie wirklich gut hier in Schweden: Wolken vom hellsten Weiß bis zum dunkelsten Grau, fast Schwarz. Und Regen vom feinsten Niesel über ein stetes Tropfen bis zum Sturzbach. Und gleich danach das hellste, klarste Blau.
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Wetterwechsel oder nach dem Regen ist vor dem Sturm
57° 40,6' N, 11° 51,0' E
Nach vier Wochen sonnensattem Badewetter verdüstert sich der nordische Himmel, zunächst nur kurz, um dann umso heller in leuchtendem Blau zu strahlen, doch dann kündigt der Wetterbericht Starkwind im Kattegat an. Zuerst ist da die Hoffnung: Noch ist Zeit für Veränderung, in einer Woche kann viel passieren, wie oft hat sich nicht schon alles geändert. So warten wir auf den richtigen Wind in Varberg, einer schwedischen Kleinstadt mit alter Festung, einem Kaltbadhus auf Stelzen im Meer, vielen langen Stränden mit Steinklippen, auf denen die Menschen vor und nach dem Baden in der Sonne sitzen, und einer Bar hoch über der Stadt.
Auch hier war das erste halbe Jahr viel zu trocken, Regen wäre willkommen, wenn er nicht gerade mit dem offiziellen Sommerbeginn zusammenfallen würde. Wir genießen das Baden von den langen Seebrücken, wer weiß wie lange noch, und die hübschen neuen Sanitäranlagen, da freuen sich die Seglerinnenherzen.
Doch der Wetterbericht stabilisiert sich wider Erwarten auf den schlechten Vorhersagen, viele Schiffe ziehen nach Süden, doch wir nutzen die nächste Gelegenheit, um nach Norden zu segeln. In Göteborgs Königlichen Segelsällskap wollen wir Wind und Regen abwettern. Ein schöner Südwind bringt uns dorthin, Stunde um Stunde, mit Wellen und glatter See, mit Nebel und Sonne und Wolken, die ganze Seglerwelt an einem Tag.
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Segelsommer 7 — Nachsaison
55° 33,5’ N,14° 21,5’ E
„Willkommen in Bergkvara”, sagt der nette Hamnkaptain, als er mir die Festmacherleine zurückgibt. Warum sind wir bloß all die Jahre an diesem netten kleinen Hafen vorbeigefahren? Meist versuchen wir möglichst schnell durch den Kalmarsund zu kommen, aber heute waren zwanzig Meilen bei viel Wind genug, und so landen wir in einem der ältesten Häfen an der Küste von Blekinge. Statt Fischerbooten legen nun Freiheitskipper an der Halbinsel Dalskär an. Gasthafen und Campingplatz sind ein Familienbetrieb, beim Bezahlen bekommen wir ein Faltblatt, auf dem neben Informationen auch die Fotos von allen, die hier an der Kasse oder im Restaurant arbeiten, abgedruckt sind. Für die wenigen Schiffe und die nur etwas größere Gruppe Camper reicht im Augenblick eine kleine Besatzung.
„Seit gestern haben wir Nachsaisonpreise”, sagt der junge Mann, der kassiert und uns Fahrräder ausleiht. Von Bergkvara gibt es vier verschiedene, gut ausgeschilderte Fahrrad- und Wandertouren. Wir fahren an Feldern vorbei, an kleinen Dörfern, an Feriensiedlungen zum Naturschutzgebiet Örarevet — im Sommer ein beliebtes Ausflugsziel zum Picknicken und Baden — heute sind wir allein am leeren Strand.
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Segelsommer 6 — Umkehr
57° 45,8’ N, 16° 39,0’ E
Wir sollten uns genügend Zeit für den Rückweg lassen, meint mein Kapitän. Und als hätten die Wettergötter es gehört, bläst es von dem Moment an stets und noch dazu heftig aus Süd bis Südwest. Hafentag reiht sich an Hafentag, Dafür lernen wir die Nachbarn gut kennen — gemeinsam helfen wir anderen Schiffen beim Anlegen, vertäuen auch die eigenen Boote noch einmal sicher vor dem kommenden Starkwind und rücken am Abend den gebunkerten Vorräten zu Leibe.
Wellen und Wind tosen um Idö und wir spinnen Seemannsgarn. Bald sind die Ferien in Schweden zu Ende; es ist richtig Platz in den Häfen. Ein paar dänische Schiffe sind noch unterwegs und viele deutsche, die man auch ohne Nationalflagge am Heck sofort daran erkennen würde, dass beim Anlegen an Bug und Heck Leinen bereit liegen und jede Menge Fender an den Seiten hängen. Andere Nationen sind da offensichtlich entspannter, wohingegen Schweden und Dänen stets Schwimmwesten tragen, was wiederum Deutsche eher nachlässig handhaben.
Beim Anlegen helfen alle. Weil jeder weiß, wie hilfreich es ist, wenn jemand an Land eine Leine entgegennimmt, weil das Schiff dann nicht mehr in Fahrt und damit schlecht zu manövrieren ist, weil sich die Schwierigkeiten mit steigendem Wind um ein Vielfaches verstärken.
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Segelsommer 5 — Skärgardsliv
57 °51,6’ N, 16° 44,0 E
Im Wind der Duft nach Wald, nach trockenen Kiefernnadeln. Wir sind mitten Im Tjust Schärengarten zwischen Västervik und Loftahammar. im Sommer fahren die Boote von Insel zu Insel, trifft man sich am Steg, in Ferienhäusern und Gaststuben — Familien, Freunde und Bekannte aus dem Segelverein. Die Kinder springen ins Wasser, alt und jung angelt und am Abend wird gemeinsam gegrillt, allerdings nicht in diesem Jahr, die Brandgefahr ist zu groß.
Heute bleiben wir in Ragö. Die Insel gehört zu einem Naturschutzgebiet und darf von April bis Juli nicht betreten werden. Mit dem eigenen Boot kann man kostenlos an zwei Gaststegen oder einer der Buchten festmachen — aber höchsten 48 Stunden —, dann auf zwei verschiedenen Wegen die Insel erkunden und in dem von einer Familie betriebenen Gasthaus oder im Garten davor Fisch essen oder im kleinen Museum erkunden, wie vor hundert Jahren Fische gefangen wurden.
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Segelsommer 4 — Frieden
57° 33,23’ N, 16° 44,14 E
Die Nacht soll ruhig werden, beste Voraussetzung für ein Ankern in den Schären und nach drei Tagen Aufenthalt im Hafen von Figeholm — einem zugegeben sehr schönen Hafen — mit Warten auf den richtigen Wind, ist ein ruhiger Ankerplatze an einer Schäre genau das Richtige. Noch dazu liegen zwischen Figeholm und Västervik einige wunderschöne Schärenplätze. Das wissen wir aus vergangenen Jahren. Und beliebt sind die Plätze auch. Am frühen Nachmittag sollte man spätestens nach einem Platz für die Nacht suchen.
Es ist immer wieder aufregend durch die engen Schärenfahrwasser zu fahren, und es nimmt mir den Atem, weil wir so nah am Stein vorbeigleiten, weil der Fels in so vielen Farben schimmert, weil die Büsche sich im Wind wiegen. Auf dem einzigen freien Stück Wasser tauchen dunklen Wolken hinter uns auf. Es donnert und der Donner begleitet uns hinein in ein nächstes Fahrwasser. Ein paar Tropfen Regen fallen, dann wird der Himmel wieder strahlend blau.
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Segelsommer 3 - Freud und Leid
57° 22,2’ N, 16° 33,3’ E
„Genau das richtige Wetter für den Gennaker ”, sagt mein Kapitän, als wir unter der Brücke bei Kalmar hindurchfahren. Leichter Wind von schräg hinten. Da kämen wir mit der Normalbesegelung kaum voran. Also wird der Gennaker ausgepackt, ein dünnes, aber großes Segel, das zum Setzen in einem Schlauch verpackt ist. Ist das Segel oben, wird der Schlauch mit einer Hilfsleine hochgezogen und das Segel bläht sich. Es knistert, als hielte man Papiertüten in den Wind. Nun geht es schnell über den Kalmarsund.
„Klappt ja prima”, sage ich. Unter einem makellos blauen Himmel ziehen wir den anderen Schiffen davon. Das schöne Wetter bleibt, so lautet die Vorhersage, die auch eine Hitzewarnung beinhaltet. 30 Grad ist ungewöhnlich für Schweden, beschert uns Wassersportlern fast karibische Verhältnisse. Das ist schön, einerseits, doch die Zeitungen berichten von brennenden Wäldern und Landwirten am Rande des Ruins. In ein paar Tagen sollen die erwarteten Gewitter endlich kommen, noch liegt vor uns nur die tiefblaue See.
Und wie immer, wenn es gerade so gut läuft, schleicht sich Unachtsamkeit ein. Dabei weiß ich genau, dass bei Manövern immer Handschuhe und Schuhe getragen werden sollten, ganz egal wie wenig Wind weht. Aber ich soll ja nur steuern, während mein Kapitän den Gennaker auf die andere Seite zieht.
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Hiiumaa — Haapsalu —Stockholm
von 58° 59’ 51’’ N, 22° 45’ 14’’ E nach 59° 19’ 55’’ N, 18° 5’ 17’’ E
Hiiumaa ist die zweitgrößte Insel Estlands und liegt für uns zwischen zwei Fähren. Eine Stunde dauert die Überfahrt von Saaremaa und sogar noch etwas länger ist die Fahrt wieder zurück zum Festland. In der Zeit zwischen den Fahrten lernen wir die Insel kennen. Hier ist es weniger wild, wenn man von der stechenden Fauna einmal absieht. Kaum hat der furchtlose Mann den Wagen auf der Wiese am Strand geparkt, stürzt sich eine dunkle Wolke auf das weiße Gefährt, was den Charme des weitläufigen und hübsch angelegten Campingplatzes doch sehr mindert. Aber es gibt ja Häfen.
Dorthin treibt uns auch die Sehnsucht. In Kärdla stehen wir in der neuen Marina. Das Hafenrestaurant betreibt eine junge Crew, die Gastronomie Estlands scheint in den Händen junger Leute zu liegen, die innovativ und köstlich kochen.
Auf dem Festland wird gefeiert, im August begeht Haapsalu das Fest der weißen Dame; an den Ständen gibt es süßes und Eingelegtes, Getöpfertes und Gedrehtes, und fein gestrickte Spitzen in Pastellfarben. Vor der Burg spielt Musik und es wird getanzt, sogar mit einer Kurzeinführung in Boogie, auf estnisch, und dann legen alle los. Wir müssen leider schon weiter, nach Tallinn zur Fähre nach Stockholm.
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Begegnungen in Schweden
57° 22’ 16’’ N, 16° 33’ 12’’ E
Auf dem Meer begegnen sich Schiffe in gehörigem Abstand, Freizeitkapitäne grüßen sich, nationenübergreifend. Im Hafen liegen Schiffe Seite an Seite, begegnen sich die Menschen. Der erste Kontakt geschieht häufig beim Anlegen. Es ist immer einfacher, wenn eine Hand an Land die Leine entgegennimmt, und das herausfordernde an-Land-springen, Bug-abhalten und gleichzeitig Leine-durch-kleine-Öse-ziehen entfällt. Und inzwischen scheint helfen selbstverständlich geworden zu sein, ebenfalls nationenübergreifend.
So haben wir auch Jewgeni und Viktoria kennengelernt, beim Leinen annehmen an einem Tag mit viel Wind. Beide stammen aus der Ukraine, leben nun in Schweden, sind sich auch dort erst begegnet. Jewgeni als Aussteiger im Boot, Viktoria, die gerne ein eigenes Hotel eröffnen. Wir stellen ein Verlängerungskabel zur Verfügung für dir Kaffeezubereitung an Bord, Jewgeni gibt uns Tipps für schöne Übernachtungsplätze und am nächsten Morgen fahren wir gemeinsam hinaus und machen Fotos.
Reinhard und Walburga sind auf dem Weg zum Götakanal, nutzen den ersten Sommer in Rente für die lange Strecke. In Hanö liegen wir im Päckchen, genießen mitgebrachte Schnäpse. Das Paar im nächsten Hafen hat die Reise in umgekehrter Richtung gerade hinter sich. Seit Mai sind sie unterwegs, haben den Sommer in den Schären verbracht. -
An der Schäre
57° 51’ 59’’ N, 16° 41’ 49’’ E
Und dann sind wir endlich dort, sind am Ziel unserer Segelreise, sind in den Schären. Um uns herum kleinere und größere Felsen — mal kahl, mal mit Baum oder Strauch bewachsen — umspült vom Meer. Rote und grüne Stangen zeigen den Weg, zwischendurch ein Blick auf Plotter und Karte, die Wassertiefen anzeigen, die im vorigen Jahrhundert vermessen wurden und sich seitdem nicht geändert haben.
Wie oft sind wir schon zwischen Figeholm, Västervik und Loftahammar gesegelt — zuerst mit einem Trailerboot, das die Fähre nach Schweden gebracht hat, dann mit einem etwas größeren Boot auf dem Weg zum Götakanal, und dann mit einem noch größeren auf dem Weg von Finnland nach Hause. Immer wollten wir irgendwann einmal mit mehr Zeit diese Gegend erkunden, und immer noch gibt es neue Inseln und Buchten zu entdecken, immer noch ist es aufregend und immer noch ist es einfach großartig mitten in einer Bucht vor Anker zu liegen, nur umgeben von Wasser und Fels und Bäumen, oder am Fels anzulegen und die Insel zu entdecken. Allein sind wir natürlich nicht, selbst in einem kühlen August nicht, aber doch irgendwie außerhalb des Festgefügten. Als würden wir mit dem Wohnwagen einfach stehenbleiben, wo es uns gefällt, nur ist der Wagen ein Boot und wir müssen nach Wind und Wetter Ausschau halten, wenn wir einen Platz für die Nacht wählen. -
Segelfreuden
56° 38’ 60’’ N,16° 27’ 44’’ E
Es ist an der Zeit, sich auch einmal den Freuden des Segelns zu widmen. Denn wie soll ich es sonst erklären, was und warum es mich jeden Sommer aufs Meer zieht, auf das Boot, das uns so viele Abenteuer beschert hat, aber eben auch Tage wie diesen:
Am Morgen legen wir ab, fahren ganz unspektakulär die ersten Meilen unter Motor, denn unser Ziel ist weit gesteckt und es weht nur wenig. Vorbei an Hanö, der Insel unserer letzten zwei Nächte, geht es hinaus Richtung Kalmarsund. Ein Segel ziehen wir dennoch hoch. Man kann ja nie wissen, wann der versprochene Wind denn kommt, und außerdem liegt das Boot dann auch ruhiger, denn Wellen gibt es schon. Das Boot schwankt.
Abwarten und frühstücken. Logge beobachten. Vier Knoten Wind reichen noch nicht zum Segeln, aber frisch wird es. Nach einer Stunde der nächste Versuch … Wir segeln. Raumshots. Die Segel weit gebläht. Um uns herum nur das Meer, erst grau, dann dunkelblau gekräuselt, am Horizont ein einsames Segel. Kein Land, nirgends. Minuten, Stunden vergehen, rauschen vorbei mit dem Wasser; Gedanken ziehen mit den Wolken.
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Robinson in Ostjütland
58° 5' 3'' N, 16° 49' 52'' E
Unsere Insel misst zwölf mal vier Meter und schwimmt mal vor dieser, mal vor jener Schäre. Das mit dem Ankern geht inzwischen eins, zwei, fix. Platz suchen, aufstoppen und Kette runter. Dann liegt der sechzehn Kilo Anker auf dem Grund plus fünfzig Kilo Kette, und wir sind gerüstet für eine ruhige Nacht. Die Sache mit dem an Land springen und ein Seil um den nächsten Baum binden überlassen wir den Schweden, beobachten fasziniert die forschen Manöver.
So hangeln wir uns von Bucht zu Bucht, von Griskär nach Läng, von Fliskär nach Lindholmen, bleiben ein oder zwei Nächte und ziehen weiter. Am schönsten sind die äußeren Schären, hinter denen das offene Meer liegt, von denen der Blick ins Weite geht. Manche Buchten sind groß, bieten Platz für viele Boote, an anderen können gerade zwei Boote anlegen. Einige sind mycket populär, wie unser Schärenführer es nennt, wenige sind abgeschieden. Die Dörfer der Fischer und Robbenfänger, der Lotsen und Fährleute sind Feriensiedlungen geworden.
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Point of Return — Fjärdläng
59° 3' 12'' N, 18° 31' 42'' E
Am Ziel im Norden, auf Fjärdläng, etwa auf der Höhe von Stockholm, aber mehrere Meilen weiter östlich, eine Insel im Meer. In zwei Tagen, wenn der Wind auf Nord dreht, geht es langsam zurück.
Grün sind die Schären Stockholms mit dichtem Unterholz, Moos und Blaubeerteppichen, zerklüftet durch Buchten, durch tiefe Kerben oder runde Ausschnitte, wie bei angebissenen Keksen. Im Sommer zieht es Segler und Motorboote in die natürlichen Häfen, selten liegt man dort allein, und wenn doch, ist es eher ein Grund zur Unruhe. Dann überprüft der Kapitän den Seewetterbericht und bringt noch mehr Leinen aus. In der Regel liegen die Boote in knuddligen Päckchen an den Schären und noch einige vor Anker. Dabei gilt: Je weiter weg vom Festland, je ungeschützter vor den Winden, desto einsamer wird es, je größer die Insel, je mehr Angebote, desto enger ist es.
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Schärensommer
57° 57' 11'' N, 16° 48' 11'' E
Gerade erst das Ruder repariert, gerade erst mit viel Wind und mithilfe des halben Hafens angelegt (mal wieder der Propeller, aber schweigen wir lieber davon), gerade erst Regen und Kälte getrotzt, und schon ist es auf einmal Sommer in Schweden, scheint die Sonne den ganzen Tag, liegen die Temperaturen weit über 20 Grad, weht nur noch eine leichte Seebrise an der Ostküste zwischen Tjust und Gryts Skärgard.
Durch das Schärenfahrwasser tuckern die Boote, biegen ab in Buchten, zu unzähligen natürlichen Häfen. Zwischen den kleinen und größeren Inseln lässt es sich gut und sicher ankern oder anlegen oder ankern und anlegen. Letzteres bevorzugen die Schweden, denn so braucht man weder ein Gummiboot aufblasen noch an Land paddeln. Allerdings sollte man wissen, an welcher Stelle das Wasser vor der Schäre tief genug ist.
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Wachsen in Västervik
57° 45' 27'' N, 16° 39' 5'' E
Es donnert in der Ferne, es regnet in der Sonne, das Außenthermometer zeigt 25 Grad, aber wohl nur, weil der Fühler direkt beschienen wird. Wir schaukeln am Steg und warten auf den Kran.
Resilienz beschreibt in der Werkstoffphysik eine Eigenschaft von Stoffen, die nach Momenten extremer Spannung wieder in den Ausgangszustand zurückkehren. Die Psychologie verwendet den Begriff, um die seelische Widerstandsfähigkeit in Krisen zu beschreiben. Gemeinhin gilt Resilienz als wünschenswert, der Grundstock wird in der Kindheit gelegt, Gelegenheiten zur Stärkung bieten sich ein Leben lang.
Wenn einem das normale Leben nicht ausreicht, kann man sich ein gebrauchtes Boot anschaffen, um die eigene Resilienz zu testen und immer weiter auszubauen, denn beim Fahrtensegeln gelten zwei Gesetze:
1. Was kaputt gehen kann, das geht auch kaputt.
2. Wenn etwas kaputt geht, dann auf jeden Fall am Freitagnachmittag.Endlich hatte der Wind gedreht, endlich waren wir im ersten Schärengarten angekommen, lagen außen auf einer ehemaligen Lotseninsel und genossen erst die Sonne und dann das Fußballspiel. Vor der Weiterfahrt am nächsten Morgen ist ein Tauchgang nötig. Nur zur Sicherheit, das Steuer ruckelte so eigenartig. Die Neuigkeiten, die der Kapitän aus der kalten Ostsee mitbringt, sind alles andere als gut: Das Ruder hat sich geteilt, hängt nur noch lose zusammen. das Boot muss aus dem Wasser. Wo ist die nächste Werft, wo ist der nächste Kran?
Das ist nicht schwer herauszufinden, und die nächsten Tage in Västervik bieten uns viele Möglichkeiten unsere Widerstandsfähigkeit zu stärken (frei nach den sieben Resilienzfaktoren).
1. positive Einstellung: ein Kran wird kommen, ein Monteur wird Zeit haben
2. vorbereitet sein: siehe oben, was kaputt gehen kann …
3. Akzeptanz der Realität: mindestens eine Woche Urlaub auf der Werft
4. lösungsorientiert denken: Reparaturdauer, alternative Urlaubsplanung
5. sich nicht als Opfer fühlen: schwierig, denn gemein ist das schon, aber Lachen hilft
6. keine Schuldzuweisung: dabei hätte es genügend Kandidaten gegeben
7. Nutzen von sozialen Netzwerken: okay, zumindest wisst ihr nun Bescheidund wir wachsen weiter einige Meter über dem Wasser, haben den Überblick und ein doppeltes Ruderblatt.
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Midsommar auf Öland
56° 39' 0'' N, 16° 28' 0'' E
Wattewolken am Himmel, Frauen in weißen Kleidern, Mädchen mit Blumenkränzen im Haar. Schlag drei Uhr nachmittags sind die Straßen wie ausgestorben, die meisten Läden machen gar nicht erst auf, und selbst der Wind hat sich gelegt. Im ordentlichen Schweden fällt der Midsommarafton immer auf einen Freitag (irgendwann zwischen dem 19. und dem 24. Juni). Dann werden am Vormittag Blumen gesammelt oder gekauft, dann sitzt man ab Nachmittag zusammen und genießt den längsten Tag, im Norden wird es gar nicht dunkel und im Süden höchstens zwei Stunden.
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Das Licht in Sandhamn
56° 5' 38'' N, 15° 51' 25'' E
Rote Häuschen und weiß getünchte LKW-Reifen an der Kaimauer — Hanö, die wilde Ferieninsel, der im Sommer stets volle Hafen, der willkommene Halt beim Sprung zur Ostküste.
Das erste Mal waren wir hier im ersten Jahrhundertsommer, irgendwann in der 2000er Reihe, zum ersten Mal hatten wir ein Boot, mit dem wir über die Ostsee fahren konnten, zum ersten Mal erlebten wir die Ruhe der langen Überfahrten und die Hektik im stets vollen Hafen von Hanö, wenn zwischen sechs und sieben die Boote einliefen, einen Platz zum Festmachen suchten, und sich das Knäuel endlich zu Zweier- und Dreierpäckchen ordnete.
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Sydkusten in Sonne und Regen
55° 33' 34'' N, 14° 21' 19'' E
Saftig grün ist die flache Küste Südschwedens, dunkle Wolken werfen Schatten, noch aber scheint die Sonne und bläst der richtige Wind die Wolken fort und uns ans Ziel. Einer der schönen Segeltage — eins mit Wellen, Wind und Wasser. Dunkelblau bis zum Horizont.
Den Hafen in Ystad kennen wir nur rappelvoll mit Dreierpäckchen an der Kaimauer. In der Vorsaison klaffen viele Lücken an den nagelneuen Stegen, und mit Hilfe eines belgischen Seglers klappt das Anlegen mühelos. Ebenso mühelos kommt ein Gespräch zustande über die Vorteile von dänischen Werftbauten (sein Schiff) gegenüber belgischen Booten (unsere Volver). Im Hafenamt erwartet uns kein Automat wie in vielen dänischen Häfen, sondern eine Hafenmeisterin wie meistens in Schweden, und auf der Terrasse des Hafenlokals mit Blick auf den Strand ist unser Glück in der Sonne vollkommen.