- Details
54° 46' 20'' N, 17° 33' 7'' E
We are sailing …
mit halbem Wind nach Darlowo, wo die Stadt im Fischerhafen für Segler einen Schwimmsteg und Super-Sanitäranlagen spendier hat,
mit achterlichem Wind nach Leba, rauschen mit sieben Knoten an Dünen und einsamen Stränden vorbei — zwei Tage ein Seglertraum … wenn nicht die Batterien schlapp machten und wenn nicht Wasser ins Getriebe liefe.
Das dämpft die Laune des Kapitäns, denn Wasser im Boot, also dort, wo es gar nicht hingehört, hatten wir für zwei Bootsleben genügend, bereits beim ersten Probetörn der Volver stand der Motor unter Wasser, unter Mittelmeerwasser, also quasi eingelegt in Salzlauge, was der Beginn einer ganzen Reihe von Werftbesuchen war.
Doch von der Werft in Danzig hält uns der Ostwind fern. Wir machen Urlaub in Leba, das Urlaubsparadies an der polnischen Ostseeküste, durch den schmalen Seekanal schießen im Stundentakt spanische Galeeren, auf denen Animateure Stimmung machen.
Life is life …
und es ist friedlich und freundlich, völlig entspannt marschieren die Massen zur Mole, tragen Väter Kinder auf Armen und Rücken, lachen Mütter vor dem Sonnenuntergang, suchen Boote einen Platz in der zweiten Reihe im Hafen.
Tagsüber zieht es alle zur Wanderdüne, für die das Städtchen schon mehrmals den Platz räumen musste. Ab fünf Metern pro Sekunde, was etwa 18 Stundenkilometern entspricht, treibt der Wind die Düne voran, meist in östliche Richtung, da es an dieser Küste vornehmlich aus Westen weht. Nur heute nicht.
Im kühlen Ostwind wandern Gruppen, Paare, Familien den Strand entlang, nur ein paar Mutige trauen sich ins schäumende, mehr als frische Wasser. Doch das Licht, das helle Blau, die Schatten im Dünensand dehnen sich weit aus, die Wellen schlagen an den Strand, nichts kann sie stören.
- Details
54° 10' 47'' N, 15° 33' 34'' E
Das Meer plaudert, schwipp-schwapp schlagen die Wellen, seufzen unter dem Rumpf, grummeln am Heck, zischen am Bug.
Beyond the sea …
Unter uns in fünfzehn Meter Tiefe der Ostseeboden, drei Seemeilen entfernt der helle Strand, wie mit dem Lineal gezogen hängt ein Wolkenband über den Wäldern der Küste. Gemächlich geht es nach Kolobrzeg, Zeit plätschert im Windtakt — noch vier Stunden bis zum Hafen, noch viereinhalb, noch fünf. Die Entdeckung der Gelassenheit und des belastbaren Magens in rollender See. Lesen, Dösen, nach Netzen Ausschau halten, spät im Hafen einlaufen und den letzten Platz am Kopf des Kais bekommen, wo die Angler das Abendlicht ausnutzen. Erst nach der fünften Ausbauphase wird das dritte, große Hafenbecken genügend Platz für die vielen Segler aus Polen, Deutschland, Dänemark und Schweden bieten; aktuell läuft Phase drei.
Umrahmt von zwei Hafenbecken liegt die wieder aufgebaute Ruine der slawischen Moorfestung Morast Redoute. Hinter einer Baumreihe gibt es dort Räucherfisch und Live-Musik, Tanz bis um Mittnacht, schallen polnische Texte zu Popsongs der Siebziger und Achtziger, erkennen wir auch Melodien der Toten Hosen. Laut, aber keineswegs lau ist die Nacht.
Am Morgen schreit der Wind durch den freundlichen Hafen, treibt schmutziggraue Wolken vor sich her, liegen vor, hinten und neben uns andere Schiffe, verschaffen uns Böen erneut Zeit, und das wollten wir doch: viel Zeit ohne Termindruck. Da kann der Kapitän dann schnell noch ein paar Kabel anschließen und die Backskisten aufräumen, kann die Seefrau die losen Gegenstände seefest verstauen und die hoffentlich letzten Schleifstaub entfernen. Und dann können wir in die Stadt radeln oder einfach nur dasitzen und Zeit haben, Gelassenheit üben beim Abfragen des Wetterberichts und dem ständigen Abstürzen der Internetverbindung. Raus aus dem Alltag wollten wir — raus sind wir, und wie.
- Details
53° 39' 43'' N, 14° 30' 54'' E
Der Mast steht, die Segel leuchten weiß und die Selbststeueranlage hat dank polnischer Handwerkskunst die Verbindung wieder gefunden. Doch der Wind bläst mit fünf Beaufort aus Nordwesten uns entgegen.
Segeln oder doch nicht segeln, fragt sich der Kapitän. Noch schimmert es blau zwischen den Wolken, glitzert da und dort ein Sonnenstrahl, zieht uns erst der Motor, dann doch das Segel die Oder hinunter.
Läuft doch ganz gut, denke ich, die paar Meilen über das Haff sind so ratzfatz vorbei. Und wir bekommen auch Gesellschaft — rechts ein Einhandsegler in weit kleinerem Boot, links eine größere Crew. Zu dritt geht es hinaus aufs Haff — wollen wir hinaus, doch nun hat das Gleiten ein Ende, geht es steile Wellen hoch und runter, taucht der Bug nicht mehr sanft ein, sondern schlägt krachend aufs Wasser. Der Einhandsegler steuert den nächsten Hafen an, die andere Crew verlieren wir aus dem Augen.
Der Kapitän kämpft mit dem Ruder, die Seefrau schließt aufspringende Schapps. Als Bücher, Taschen und Werkzeug durch die Gegend schießen, kehren wir um, fliegen nur mit dem Vorsegel zum nächsten Hafen.
Vom geschützten Kai in Trzebiez, am Ausbildungszentrum des polnischen Seglerverbandes, sehen die weißen Schaumkronen recht malerisch aus. Eine Grenze teilt das Stettiner Haff: Das kleine Haff ist deutsch, das große polnisch, beide sind fischreich, im nicht sehr tiefen Wasser stehen Stellnetze und Pfahlreusen, in die man besser nicht gerät. Seit die ersten Fischer hier ihre Netze trockneten, haben die Herrscher oft gewechselt, Orte, Seen, Flüsse tragen mehrere Namen. Trzebiez hieß einmal Ziegenort — nicht nach den Ziegen, sondern nach dem Fisch Zege.
Am Abend kommt Regen, kräftiger Wind schaukelt uns in den Schlaf. Am Morgen fahren wir über das Zalew Szcecinski gen Świnoujście.
- Details
53° 23' 59'' N, 14° 37' 1'' E
Das Licht über der Oder, Gold im Grün, Feenlichter im Fluss, rosarote Streifen am blassblauen Morgenhimmel. Ein Habicht kreist, ein Kranich steht still im Schilf. Sommersonnenwärme auf der Haut.
In Oderburg haben wir im Herbst schon einmal Rast gemacht. Noch immer reicht die Wassertiefe am Außenplatz gerade noch für uns, kündigen Sirenentöne die Arbeit des Krans auf dem Fabrikgelände an. Hafenidyll hat immer etwas von work in progress, hat dreckige Finger und steckt in Arbeitsklamotten. Doch hier fällt die Abendsonne auch auf leckeren Zander, köstlichen Weißwein und Ost-West-Gespräche. In der schönen, aber keineswegs so blühenden Landschaft Brandenburgs sind wir auf eine Oase gestoßen, die einer ehemaligen Kaserne der DDR-Grenztruppen entspringt. Lang ist das her.
Im ersten Sommer nach Maueröffnung hat der Kapitän seine erste Jolle gesegelt, im Sommer darauf ist die Seefrau an Bord gestiegen, hat am Tag mit den Segeln und am Abend mit den Mücken am Drewensee gekämpft. Das mit den Mücken hat sich nicht geändert. Im Schatten der Dämmerung greifen sie an. Am Tag wäre ein wenig Schatten schon nicht schlecht. In Polen auf einsamer Fahrt durchs Naturschutzgebiet streift uns kühl und willkommen die Ahnung einer Meeresbrise, nur das Tuckern des Motors durchbricht die Stille, Kapitän und Seefrau schweigen beglückt.
Segelreisen sind eine wunderbare Gelegenheit im Hier und Jetzt anzukommen, den glücklichen Augenblick zu genießen, dem unweigerlich ein weniger glücklicher folgt, der aber auch vorbeigeht. Demut gegenüber Wetter- und anderen Schicksalsgöttern lernt sich nirgends so schnell wie auf einem Boot. Diesmal ist der Wackelkandidat die Selbststeuerungsanlage, die immer wieder die Verbindung verliert. Wir laufen in Stettin den nächsten Hafen mit Elektronikbetrieb an, schauen in den Himmel, der sich zuzieht, und warten auf denjenigen, der die Verbindung wieder herstellen kann.