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23° 27' 34'' N, 13° 18' 34'' E
Keine neue Erkenntnis, zugegeben (nur die katholische Kirche hat ein paar hundert Jahre länger gebraucht), aber ich habe den Erdball noch nie umrundet, weshalb es ganz schön aufregend ist, damit morgen in östlicher Richtung anzufangen.
Nein, diesmal nicht mit dem Boot — ganz abgesehen davon, dass sich unsere Breitengrade im Augenblick zum Segeln wenig eignen, kann ich allen, die eine Weltumsegelung mit ewig blauem Himmel, steter Sonne und leichtem Wellenplätschern verbinden, nur einen Besuch des Films All is Lost empfehlen. Von kurzen schönen Momenten abgesehen kämpft sich der Alleinsegler — tapfer, tapfer Herr Redford, und das in Ihrem Alter — von Katastrophe zu Katastrophe (Leck durch herumtreibenden Container, Sturm, Durchkentern, Mastbruch, Schiffsuntergang usw.). Obwohl dem kritischen Seglerblick manche Ungereimtheiten auffallen, obwohl mir der Kapitän versichert hat, er würde das Leck auf jeden Fall haltbarer abdichten, und obwohl wir stets Funkgeräte, sowie GPS-Sender und -empfänger in mindestens zweifacher Ausführung an Bord haben, wäre ich als Seefrau schon nach dem ersten Ereignis in Panik ausgebrochen und hätte SOS gefunkt und hoffentlich jemanden erreicht. Natürlich kann auch alles gutgehen, aber wenn nicht, ist es eben kein Spaß. Und ein Jahr hätte auch nicht gereicht, schon gar nicht bei der Sache mit der Rettungsinsel.
Deshalb wird die Welt also nun im Flugzeug umrundet mit Zwischenstopps in Hongkong, Neuseeland, den Cook-Inseln und Los Angeles. Wir werden zu Fuß unterwegs sein, Bahnen und Busse benutzen, mit Fähren übersetzen. In Neuseeland werden wir mit einem Campingwagen fortbewegen, weiterhin also im mobilen Schneckenhäuschen unterwegs sein, ohne Kiel, aber mit vier Rädern.
Neuseeland gilt als einfaches Reiseland, nur bei der Einreise wird es schwierig. Die Insel möchte die Krankheiten und Seuchen der anderen Länder gerne fernhaften, weshalb man neben den üblichen verdächtigen Dingen auch vieles andere nicht mitnehmen darf: Lebensmittel natürlich, vor allem frische, tierische und pflanzliche Produkte, vor allem unbehandelte, Mikroorganismen jeglicher Art und eben auch Erde, weshalb ich einen halben Tag Schuhe geputzt habe, was ich sonst noch nicht einmal zum Nikolaustag tue, aber so ein bisschen Beschäftigung dämpft ja auch die Aufregung. Nun ist alles blank und bereit. Ein dicker Packen Unterlagen liegt auf dem Schreibtisch, gebuchte Urlaubsversprechen schwarz auf weiß, die sich bald bunt materialisieren werden. Was nehmen wir noch mit? Man sollte eher mit leichtem Gepäck reisen, raten die einschlägigen Foren, also ein bis zwei Sets pro Wetterlage (vier Jahreszeiten kann man an einem Tag in Neuseeland erleben). Und was ist wirklich überflüssig? Espressomaschine? Milchaufschäumer? Fleecedecke?
Nicht 80, nur 72 Tage wird unsere Weltumrundung dauern, bloß ein kleines Abenteuer mit genügend Zeit zum Schauen und Wundern.
Alles wird sich finden.
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52° 27' 34'' N, 13° 18' 34'' E
Reif liegt auf den Scheiben der Autos, auf Vorgartenbeeten und den ausgebrannten Feuerwerkskörper. Erstaunlich still ist es am Neujahrsmorgen, verlassen die Wege, ein guter Augenblick für Wünsche, die guten zum Neuen Jahr und die hoffnungsvollen fürs Neue Jahr.
Wenn ich mir was wünschen dürfte …
„Der Wunsch ist ein Begehren, das jemand bei sich hegt oder äußert, dessen Erfüllung mehr erhofft als durch eigene Anstrengungen zu erreichen gesucht wird”, so steht es im Duden. Wünsche haben stets etwas Irreales, sie richten sich in die Zukunft, die häufig dunkel ist wie der Zuschauerraum im Theater, bevor sich der Vorhang hebt.
In alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat … so beginnen viele Märchen. Kinder glauben oft daran, dass Wünsche in Erfüllung gehen, wenn sie nur fest genug wünschen — was zu Weihnachten manchmal auch der Fall ist. Erwachsene nennen ein solches Denken Affirmation, es gibt sogar Bücher mit Anleitungen zum richtigen Wünschen — und tatsächlich klappt es sogar manchmal, denn das haben Wünsche nun mal an sich: Sie gehen ab und zu in Erfüllung.
Schaden können Wünsche jedenfalls nicht, das wunschlose Glück aber ist ein Phantom, die Jagd danach der sichere Weg ins Unglück. Warum sollten wir auf Begehren, Verlangen, Streben und Sehnsucht verzichten und auf das Glück, jemandem einen Wunsch zu erfüllen — wobei sich im günstigsten Fall Glück im Doppelpack ergibt?
Wenn ich mir also was wünschen dürfte, und irgendjemand im Universum das hört, dann wünsche ich mir für 2014 etwas Glück für jeden, glückliche Sekunden, Minuten, vielleicht sogar Stunden. Ich weiß, das ist viel, aber ich würde mich wirklich darüber freuen — versprochen.
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52° 29' 38'' N, 13° 19' 34'' E
Kalt pfeift der Wind am Eingang zur Kirche, in dicken Jacken und Mützen steht ein kleines Häuflein Musikbegeisterter schon eine Stunde vor Beginn vor den hohen Türen.
Von Lagunen und Fjorden …
Advent ist die Zeit der Konzerte, alle Chöre der Stadt und viele Chöre aus aller Welt haben ein Weihnachtsprogramm, und zwischen all den Kantaten, Oratorien und Messen ist mir die gewagte Kombination aus Vivaldi und neuer nordischer Chormusik aufgefallen. Deshalb frieren wir hier und ergattern gerade noch zwei Plätze am Rand, direkt neben den Heizungsgittern im Boden, aus denen zumindest bis zum Konzertbeginn noch warme Luft strömt, denn trotz der vielen Menschen, die singen, musizieren und lauschen ist die Kirche am Hohenzollernplatz wie alle Kirchen recht kühl.
Schon immer gehörte für mich zu Weihnachten auch Musik, zu allererst Weihnachtslieder natürlich, meist in der Kirche, in die wir am Heiligabend das einzige Mal im Jahr gingen. Zu Weihnachten bekam ich auch meine erste Platte, „Lieder unserer Zeit in Licht und Schatten”, von denen mir „Die Moorsoldaten” und „Johnny Tambour” noch in Erinnerung sind- Wahrscheinlich wurde damals der Grundstein zu meiner Vorliebe für eher melancholische Melodien und Texte gelegt, fröhlich war kein Lied auf der Platte. Die LP war ein Sampler, dessen Erlös komplett ans Deutsche Rote Kreuz ging, es war eben Weihnachten.
In der Oberschule hörten wir im ansonsten eher faden Musikunterricht jedes Jahr zur Adventszeit das Weihnachtsoratorium von Bach, alle sechs Teile mit den Noten auf den Knien, von denen Frau B. extra einen Satz angeschafft hatte. Nicht alle waren begeistert, aber mir gefiel es, gefällt es bis heute, sehr zum Unmut meiner Kinder, die weder jauchzen noch frohlocken, wenn Arien und Chöre durchs Haus schallen. In die Oberschulzeit fällt auch die Uraufführung der „Weihnachtskantate für junge Leute” 1972 in unserer Aula. Der RIAS schnitt das Konzert mit, das auf Platte gepresst wurde und sogar als Schmuggelgut in die DDR gelangte. Was waren wir stolz, in den Jubel ganz modern auch Zweifel eingebracht zu haben.
Vierzig Jahre später präsentiert der Hugo-Distler Chor die gewaltigen Lobpreisungen Vivaldis, dann tönen zartere Klänge durchs Kirchenschiff. Oslo Voices singen Worte, die ich nicht verstehe. Ganz wunderbar ist es dennoch, stärker die Stimmen, glasklar und doch miteinander — warm wird mir, so einfach kann Glück sein.
Jul, jul, strålande jul!
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6° 28' 51" N, 80* 0' 18" E
Blitze zucken im Osten, Donner grollt, auf einen Schlag öffnen sich alle Schleusen, schüttet es Wasser kübelweise auf lehmrote Erde, Gras und Bambus. Eine Stunde prasseln dicke Tropfen auf Wege und Treppen, so laut, dass wir fast schreien müssen, um uns zu verständigen.
Wir, das sind zwei weit über achtzigjährige Damen, vor deren Mut und Ausdauer ich das Nesselhäubchen zücke, eine Schweizerin auf viermonatiger Weltreise, die hier Geburtstag feiert - was uns nicht ganz kurgemäss Schokoladenkuchen zum Nachtisch beschert -, sowie der Mann und ich, die Neulinge aus Berlin.
Fünf also. Fünf, die morgens um acht grüne Suppe löffeln.
Fünf, die Ölgüsse bekommen und mit Milchreispäckchen gestempelt werden.
Fünf, die mittags Gemüse essen - ein scharfes, ein saures, ein bitteres und eines mit neutralem Geschmack.
Fünf, die am Nachmittag Kräutertee trinken und die Ruhe genießen, obwohl es im Garten eigentlich nie ganz still ist: Vögel gurren, tschilpen, kollern; Flughunde kreischen; Tuktuks und Busse hupen und rumpeln durch die Kurven; Buddhisten singen und Muslime rezitieren und am Abend pfeift die Orgel des Brotverkäufers.
Ein Konzert, das nie zu Ende geht, uns fünf am Tag und in der Nacht begleitet, wenn wir nach dem unermüdlichen Umsorgtwerden die elektronischen Geräte zücken, um zu erfahren, was im Rest der Welt geschieht.