Positionsmeldung

Nora

Willkommen

Positionsmeldung erzählt von Reisen. Manche führen aufs Meer, manche nur ein paar Schritte vor die Haustür, manche ereignen sich auf Papier, auf Bühne und Leinwand oder virtuell.

Ich freue mich über Begleitung.

 

52° 27' 33'' N, 13° 18' 35'' E

 

 

Strahlend helle Sonne, Hitze, die fast zu viel ist, die Stadt voller Baustellen und Touristen, die Seen schon leicht grün. Sommer.
Was macht Frau, wenn sie nicht auf Reisen gehen, nicht in den See tauchen, nicht im Freiluftkino sitzen, eben Haus und Garten nicht verlassen kann?
ich reise in Büchern, am liebsten in Länder, in denen ich noch nie war. Das Glück, Neues, Unerwartetes zu entdecken.

website blog 211Die erste Reise führt nach Israel. Löwen wecken von Ayelet Gundar-Goshen, übersetzt von Ruth Ashama, erschienen bei Kein und Aber. Ein erster Satz, der mich nicht wieder loslässt: „Und er dachte sich gerade, dies sei der schönste Mond, den er je gesehen habe, als er den Mann umfuhr. Und als er ihn umfuhr, dachte er im ersten Moment immer noch an den Mond, dachte weiter an den Mond und hörte dann mit einem Schlag auf, als hätte man eine Kerze ausgeblasen.”
Ein Unfall in der Wüste, ein Arzt begeht Fahrerflucht, ein Toter bleibt zurück. Das könnte ein Krimi werden und ist auch das Porträt einer Ehe, denn die Frau des Arztes ist Polizistin und wird die Ermittlungen in dem Fall übernehmen. Es könnte eine Reflexion über Schuld und Sühne sein und ist auch ein Porträt der Situation von Flüchtlingen aus Eritrea, denn das sind der Tote und seine Frau, Infiltranten heißen sie in Israel, leben und arbeiten ohne Papiere und Aufenthaltserlaubnis. Die Frau wiederum sucht den Arzt auf und macht ihm einen Vorschlag, den er nicht ablehnen kann. Es könnte eine Dreiecksgeschichte sein und ist auch das Porträt von Menschen mit all ihren Fehlern und Unzulänglichkeiten.

Menschen im Licht und jene im Dunkeln treffen aufeinander, und an den Schnittstellen entsteht viel grauer Schatten, bei dem aus Bösem Gutes und aus Gutem Böses erwächst. „Es gibt keine Engel, nur Menschen”, denkt Etan, der Arzt. Ayelet Gundar-Goshen schildert Brüche im Einzelnen, zwischen Mehreren, in der Gesellschaft. Die Welt ist nicht so festgefügt, wie sie sein sollte. „Wenn man nur lange genug irgendwohin starrt, wird alles seltsam. Deine Worte, deine Gesichtszüge, dein Mann”, denkt Liat, die Polizistin.
Spannend, sinnlich und sprachlich ebenso gelungen.

 

website blog 212Die zweite Reise geht nach Griechenland. Athen, Paradiesstraße von Sofia Zinovieff, übersetzt von Eva Bonné, erschienen bei dtv, So viel ist von Griechenland zu lesen gewesen die letzten Monate, doch dieses Buch, diese Reise mit Worten zeigt ein Griechenland, das anders ist, vielschichtiger, verständlicher. 

Zwei Frauen erzählen die Geschichte einer Familie in den Wirren von Krieg, Besatzung, Bürgerkrieg und Junta. Auch hier ist ein Unfall der Auslöser. Der Journalist Nikitas kommt nachts betrunken von der Landstraße ab. Mord, Selbstmord oder tragischer Unfall. Seine englische Frau Maud versucht, die Umstände seines Todes zu klären und entdeckt Stück für Stück das Geheimnis seiner Geburt. „Antigone war in der Zeit erstarrt als eine junge Frau, die fortgegangen war, ohne sich noch einmal umzudrehen; und so wurde sie zum schwarzen Loch der Familie, das Gefühle einsog und niemals etwas zurückgab.” Nikitas’ Mutter Antigone ging einst ohne ihr Kind ins russische Exil; sie kehrt nun zurück, bricht ihr Schweigen und erinnert sich an ihre Partisanenzeit — an Sieg und Niederlage, an Verrat und gebrochene Versprechen. „Die Menschen, die ich verloren habe, verfolgen mich noch heute. …Manche wurden von einer verirrten Kugel getroffen, andere ließen sich singend und tanzend und im Namen von Freiheit und Gerechtigkeit zu ihrer Hinrichtung führen. Kein Preis war zu hoch, daran glaubten wir mit jeder Faser unseres Körpers.”
Sofka Zinovieff erzählt von den tiefen Gräben in einer Familie und der Spaltung der griechischen Gesellschaft aus dem Blickwinkel der Ausländerin und der Rückschau der Exilantin. Das Fremde wird in den Augen der Fremden vertrauter und die Gegenwart im Licht der Vergangenheit klarer.
Faszinierend und erkenntnisreich.

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