54° 59' 22'' N, 8° 21' 34'' E

Kurz vor dem nördlichsten Zipfel von Sylt schnurrt die Insel zusammen, wird ein schmaler Streifen Dünenlandschaft, umspült von Nordsee und Wattenmeer. Dort liegt Klappholttal, verteilen sich Hütten und Seminarräume, Bibliothek und Vortragssaal und vieles mehr zwischen den Hecken der Kamschatkarose. Seit 1919 gibt es die Volkshochschule, die Akademie am Meer, seit vielen Jahren findet dort die Sommerakademie der Bücherfrauen statt unter dem wechselnden Wolkenfeldern am hellen Himmel, nur wenige Treppenstufen vom langen, einsamen Strand. Seit Monaten habe ich mich auf diese Tage gefreut und fast hätte es nicht geklappt.

Von Berlin fährt der Zug sechseinhalb Stunden bis nach Westerland, doch ich bin inzwischen von der Läuferin zur Liegenden geworden. So legt der Gatte eine Matratze in den Wagen und fährt nach Niebüll. Eine kurze Zugfahrt über den Hindenburgdamm, eine noch kürzere mit dem Taxi über die Insel, dann geht es los mit der Text- und Körperarbeit am Meer.

Haltung ist unser Thema, Haltung in Texten, zu Figuren und nicht zuletzt im eigenen Körper. Eine kleine Abweichung in der Wortwahl, eine unerwartete Wendung, eine unvorsichtige Drehung — große Wirkung. Achtzehn Frauen, engagiert, textbegeistert, lachend, lernend, übend, genießend. Haltung, denke ich, die Beine auf Decken und Kissen gelagert, Bandscheiben entlastend. Haltung, erinnere ich mich auf den Stufen zum Strand hinunter, jeden Tag ein wenig schneller. Haltung, spüre ich, in der Runde vorsichtig sitzend oder bei minimalen Bewegungen im Pilates.

Dann strahlt die Sonne zwischen Wolken, schäumt das Meer, klingen Worte, ist die Zeit viel zu schnell vorbei und doch so gut gefüllt mit Solidarität, Spaß und Sachverstand (drei Dinge, die nicht so selbstverständlich sind, schon gar nicht gemeinsam). Gestärkt, aber noch liegend geht es zurück im Zug von Westerland nach Berlin.