52° 27' 33'' N, 13° 18' 35'' E
Von Natur aus sind wir Läufer. klar, das weiß inzwischen ja fast jeder. Der Wald ist voll mit LäuferInnen, Fitness-Studios boomen. Ausgleich ist wichtig, Bewegung ist wichtig. Ja ja, mach ich alles, mindestens zwei Mal in der Woche und ab und zu Termine beim Osteopathen, um Schultern und Hals zu lockern, die stundenlanges Sitzen vor dem Computer, nun ja, nicht gleich wie Beton, aber doch reichlich hart und unbeweglich macht. Denn während unser Hirn tagtäglich mit den Anforderungen des 21. Jahrhunderts beschäftigt ist, befindet sich unser Körper quasi noch in der Steinzeit bei den Sammlern und Jägern.
Ich sorge also für meinen Körper, ich weiß, was gut ist. Warum ich dennoch manchmal acht Stunden fast am Stück am Schreibtisch sitze und auf einen zugegeben ziemlich großen Bildschirm starre? Ich könnte den allseits bekannten Termindruck beklagen, den es natürlich auch gibt, aber hinzu kommt die eigene Faszination an den Texten, am Knobeln, am Spielen mit Worten und manchmal auch an der bunten Netzwelt. Es fällt mir leicht zu vergessen, dass ich einen Körper habe, besser gesagt, es fiel mir leicht.
„Das sieht nach einem Bandscheibenvorfall aus”, sagt der Arzt und schickt mich zum MRT.
Ich kann nicht sitzen, nicht stehen, nicht auf dem Rücken liegen und auf dem Bauch schon gar nicht. Laufen geht, Schrittchen für Schrittchen. Und nun ist es auch Grau und Schwarz auf Weiß zu sehen, die Entzündung, der schräg ausgetretene Bandscheibenkern, der den Ischiasnerv abklemmt. Ich habe einen Körper, ich bin Schmerz, morgens, mittags, abends und nachts. Trotz Spritzen, Physiotherapie und Tabletten. Und es ist kein Trost, dass es nicht nur mir so geht — je nach Statistik befinde ich mich in bester Gesellschaft von 40 - 50% der deutschen Bevölkerung.
Mein Lebensraum reduziert sich auf Arztbesuche, Physiotermine, Spaziergänge — nicht sofort, zuerst kommt der Trotz. Ich lasse mich doch von Schmerzen nicht einschränken. Ich bin stark, ich schaffe das. Nein, muss ich zugeben, es schafft mich. Ich schreibe im Liegen, ruhe brav auf dem Heizkissen oder abwechselnd auf dem Coolpack, komme bei kleinsten Bewegungen in der Therapie ins Schwitzen und schleiche in einem Umkreis von wenigen Kilometern um mein Zuhause. Ein Schritt, ein zweiter, stehenbleiben, atmen, ein Schritt und noch einer. Ich kenne jeden Strauch, jeden Stein, weiß wie das Licht zu verschiedenen Tageszeiten hier und dort einfällt. Junge Leute, alte Leute streben an mir vorbei, Kinder rennen, ich setze vorsichtig einen Fuß vor den anderen, übe kleine Schritte, übe mich in Geduld, in Langsamkeit, in Ruhe. Laufe.