Homestay ist Bed&Breakfast mit Familienanschluss, ein Bett und Frühstück gibt es auch, doch die Betonung liegt auf dem Heim, dem in unserem Fall indischen Zuhause. Wir sind also zu Gast bei einer Familie, einem kleinen Familienbetrieb, denn meist sind mehrere Personen beteiligt und es gibt auch mehrer Gastzimmer, was zur Folge hat, das beim Frühstück und gegebenenfalls auch beim Dinner Völkerverständigung am Familientisch geprobt werden kann, in der Regel auf Englisch, während die Familie in der Küche mit der Zubereitung der landestypischen Speisen beschäftigt ist. Die sind zum Frühstück eher herzhaft, trockenes Curry mit Kartoffeln und Zwiebeln und dicke Teigfladen mit herzhafter Füllung oder gefüllte Klöße, weswegen immer auch Toast mit Marmelade bereit steht.
Im Rose Gardens nahe der Teeplantagen in Munnar hat die rührige Familie sich etwas anderes überlegt. Nachdem sie für ihren ersten Gast mit viel Aufwand ein richtiges englische Frühstück bereitet hatten, das gar nicht gut ankam („Das esse ich seit siebzig Jahren”, soll der Engländer gesagt haben, „hier möchte ich indisches Essen”), sich aber nicht vorstellen konnten, dass europäische Touristen Currys frühstücken mögen, haben sie sich für eine Variante mit süßen Zwischenmahlzeiten entschieden. So geht es oft in Indien; da fragt niemand, sondern es finden große Überlegungen im Hintergrund statt, was oft zu überraschenden Lösungen führt und manchmal auch zu Missverständnissen. Merke: Im Zweifel lieber einmal mehr nachfragen oder mehrmals.
Im Rose Gardens gibt es also jeden Morgen eine Überraschung: verschiedene Arten von Pfannkuchen mit Ananas oder Bananen, frittierte Grießbällchen oder Teigschlangen, geröstete Reis- und Kokosflocken und Honig aus der eigenen Imkerei und natürlich selbst gemachte Ananaskonfitüre, das meiste aus dem eigenen Garten, alles biologisch angebaut. Auch das Wasser wird solarerhitzt und eine Mini-Biogasanlage stellt den größten Teil der zum Kochen benötigten Energie bereit. Das alles hat ihnen schon mehrmals den Preis als bestes Homestay in Kerala, einmal sogar in Indien, beschert, worauf alle natürlich sehr stolz sind.
Die Söhne der Familie führen die Familientradition des Wandels nach sich verändernden Gegebenheiten fort. Der Großvater führte eine Kardamonplantage, der Sohn machte aus seiner Gartenleidenschaft ein florierendes Landschaftsgärtnereiunternehmen für die umliegenden Hotelbetriebe und nun sind sie selbst ins Tourismusgeschäft eingestiegen, eröffnen bald ein zweites Haus und bieten individuell gestaltete Touren an.
Beim Dinner am Abend erfahren wir viel über den Teeanbau in der Gegend, über Familien und Geschäfte in Indien. Da lauschen dann die Gäste aus den USA, England, Frankreich und Deutschland und kommen ins Gespräch, berichten über eigene Erfahrungen in Indien, landen beim Nachtisch in den eigenen Ländern und fragen uns, warum die nationalistischen Bewegungen plötzlich so stark geworden sind.
Ungesehen haben wir uns auch, sind durch die unglaublich grünen und weiten Teeplantagen gewandert, haben uns durch die Menschenmengen im wuseligen Munnar unter roten Flaggen mit Hammer und Sichel gedrängt (in Kerala sind die kommunistische Partei und die Gewerkschaften traditionell sehr stark), und haben neben der Teefabrik auch das soziale Projekt Aranya Natural besucht, Ausbildung- und Arbeitsstätte für Menschen mit Behinderung, in der seit den 1990er Jahren sowohl pflanzengefärbte Textilien als auch Papiererzeugnisse hergestellt werden — für ganz Indien.
Und an diesem, unserem letzten Abend hält das Taxi — unser sicheres Fortbewegungsmittel auf der viel befahrenen Straße — noch einmal an einem Aussichtspunkt, den vor allem auch die Hochzeitspaare ansteuern. Wir werfen einen letzten Blick auf die Berge im Dunst, auf das schwindende Licht, während hinter uns Lastwagen und Motorräder durch die enge Kurve donnern und langsam der Regen fällt, der das Land so grün macht.