52° 26' 17'' N, 13° 15' 44'' E
Toleranz: Duldsamkeit, Nachsicht, Großmut, Verständnis. So steht es im Duden.
Wir leben im Fitness-Zeitalter. Fit sein ist alles. Vor allem der Körper soll gestählt werden, auf die Form kommt es an — definierte Muskeln, flacher Bauch, straffe Haut. Fitness-Studios boomen, als Hobby für Jugendliche, als Ausgleich zur Arbeit, als Prävention und Linderung erster Gebrechen für Ältere.
Ja, ich gebe es zu, auch ich bin Mitglied, gehe regelmäßig schwimmen, turnen, saunen. Mit vielen, vielen anderen, manchmal wird es recht eng vor den schmalen Spinden im Umkleideraum, bilden sich Schlangen vor den Geräten, gibt es Stau auf den Bahnen im Schwimmbad. Allgemein geht man freundlich distanziert miteinander um, schließlich leidet man gemeinsam und ist gleichzeitig Teil der großen „Ich halte mich fit”-Familie. Manchmal kommt es allerdings zum großen Familienkrach, da treffen Welten aufeinander, die sich sonst vielleicht nie berühren.
Zum Beispiel an einem ganz normalen Sonntag in der Zehlendorfer Welle, die über ein Schwimmbad mit Meerwasser verfügt, das allerdings auch Menschen zur Verfügung steht, die einfach nur schwimmen wollen, ohne Studio, ohne Geräte, ohne Sauna. Am Sonntag sind unter diesen Menschen auch viele Kinder, und zwei davon sitzen einer Dame im Weg, die an ihren Spind will.
„Nehmen Sie die Kinder da weg!”, blafft sie.
„Bitte gehen Sie doch durch”, sagt die Mutter und stellt eine Tasche zur Seite.
„Das ist mein Spind, die müssen da weg”, sagt die Dame mit lauter Stimme.
Köpfe rucken hoch, Augenpaare treffen sich, Schultern rücken zu den Ohren.
„Meinen Sie das ernst?”, fragt eine Frau gegenüber.
Die Dame schweigt und schaut empört.
„Bitterernst ist ihr das”, sagt die Mutter.
„Unfassbar”, sagt die Frau gegenüber. „Und ich habe es für einen Scherz gehalten.”
„Ich komme später wieder.” Die Dame rauscht ab.
„Besser ist’s”, ruft die Frau gegenüber ihr hinterher.
„Beten sollte man darum, dass in einem gesunden Körper ein gesunder Geist sei.“ (Juvenal, Satiren 10, 356)