52° 25' 24'' N, 13° 19' 19'' E
Strahlend blauer Himmel über dem Hermann-Ehlers-Platz, die Platanen schlagen aus — bald tränen Augen, reizen Sporen zu Niesanfällen. Doch noch erkenne ich den ersten Spargel ohne Schleier, sehe deutlich die eingefrästen Namen und Bilder auf der verchromten Spiegelwand inmitten des Wochenmarkts.
Spieglein, Spieglein ... nein, klein ist er nicht, der neun Meter lange und dreieinhalb Meter hohe Spiegel zum Gedenken an jüdisches Leben in Steglitz, an die deportierten jüdischen Mitbürger. 1.723 Namen und Adressen stehen auf der Tafel, umrahmen Bilder der Synagoge, des Chanukkafestes. Fast zu schön ist sie für den hässlichen zubetonierten Platz am Rande von Autobahn und S-Bahn-Gleisen. Im Bezirk stritt man lange um die Aufstellung, den Abgeordneten von CDU, FDP und Republikanischer Partei war die Wand zu groß, zu teuer ... erinnerte nicht dezent, sondern laut in der ganzen Länge der früheren Steglitzer Synagoge.
Gäbe es nicht genug ... sollte nicht endlich ein Ende sein ... musste es nun auch noch hier ...
Vergeben, aber nicht vergessen stand über einer Gedenkstätte, die ich mit vierzehn auf einer Klassenreise in Paris besuchte. Das verstand ich damals nicht, wollte nicht an all das Schreckliche erinnert werden, wollte mich nicht schuldig fühlen für etwas, was lange vor meiner Geburt geschehen war. Schweigen, wegschauen und bloß nicht nachfragen, so hielt man es bei uns wie in vielen Familien. Später, viel später brachen Theater und Film das Schweigen, warfen Gedichte und Romane Fragen auf. Wie ... warum ... gab es Worte ... konnte Sprache? Ich entdeckte jiddische Lieder, fand Vertrautes in Kunst und Poesie, verzweifelte am Nahost-Konflikt.
"זכור" steht auf der Schmalseite der Wand: gedenke. Ich schaue in den Spiegel. Das kann ich tun — hinschauen und gedenken.