52° 32' 2'' N, 13° 12' 59'' E
Nein, ich werde keine Wehklage über das Wetter anstimmen, denn Frau und Mann segeln ja, um sich Wind, Wellen und Wasser auszusetzen, egal in welcher Stärke und aus welcher Richtung, um jene Augenblicke zu erleben, in denen sich ein Gefühl der Einheit von Tun und Sein einstellt, ein müheloses Gleiten im Augenblick — schlicht das meist so flüchtige Glück.
Seemanns Freud‘ ist das Meer.
Für jene selbstvergessene Momente hat ein amerikanischer Professor den Begriff „Flow” geprägt, ursprünglich, um die Faszination von Risikosportarten zu erklären, doch die Merkmale passen auch zum Fahrtensegeln: Das Reizfeld ist begrenzt, erfordert aber volle Aufmerksamkeit, jede Handlung erfährt direkte Rückmeldung, und Sinn und Zweck ist einzig das Segeln selbst. Theoretisch ist also Segeln der Königsweg zum Glück.
Doch leider hat der liebe Herrgott, haben Neptun, Poseidon oder wer auch immer vor den „Flow” beim Segeln das Basteln, die schnöde Arbeit am Boot gestellt. So dient die in unseren Breitengraden zwangsläufige Winterpause, die sich auch schon mal bis weit in den Frühling hineinziehen kann, nicht allein der Regeneration und Vorfreude. Zwischen winterfest einplanen und frühjahrstüchtig herrichten warten kleinere Schönheitsreparaturen, die sich leicht zum Refit oder zur Komplettsanierung auswachsen können, denn an Überraschungen fehlt es an Land ebenso wenig wie zu Wasser.
Dabei gilt in der Regel: kleine Boote — kleine Probleme, große Boote — große Probleme. Männer nehmen diesen Umstand meist als sportliche Herausforderung, ähnlich den Stürmen auf See trotzen sie Leckagen, Osmose und Motorschäden mit konfuzianischem Gleichmut und aufgerollten Ärmeln. Der Weg ist das Ziel, eins kann man auch mit Expoxidharzen und Schleifpapier werden, die Seefrau dann mit Eimer und Wischlappen.
Mir ist dieser Gleichmut nicht gegeben. Ich suche den „Flow” lieber auf dem Meer. Zum Glück ist mein Kapitän da ganz anders. Seit Monaten werkelt er mal enthusiastisch, mal verzweifelt am Schiff, mit dem wir bald — ja, in einer Woche soll es so weit sein — drei Monate auf der Ostsee unterwegs sein werden. Jeden Abend gibt es Erfolgsnachrichten oder Hiobsbotschaften, fließend verschiebt sich der Abfahrtstermin, der Weg ... ja ja, ich weiß, aber manchmal ist der Weg doch nur ein Weg.
Meine Sehnsucht ist die Ferne.