Positionsmeldung

Nora

Willkommen

Positionsmeldung erzählt von Reisen. Manche führen aufs Meer, manche nur ein paar Schritte vor die Haustür, manche ereignen sich auf Papier, auf Bühne und Leinwand oder virtuell.

Ich freue mich über Begleitung.

 

52° 30' 20'' N, 13° 23' 38'' E

 

 

Website blog 9Die Straße ist aufgerissen, von der Hochbahn hängen Plastikplanen. Aufgehübschte Altbauten blicken auf hässliche neue Wohnwaben und schiefergrau zickzackt sich der Neubau des Jüdischen Museums ins Sichtfeld. Wir befinden uns in Kreuzberg, wo sich nicht nur Baustile aneinander reiben.
Vor einem langgezogenen Betonkasten — mit einer breiten roten Bauchbinde zwischen erstem und zweitem Stock — stehen Grüppchen festlich gekleideter Jugendlicher.

We don’t need no education ...

Nein, hier werden keine Mauern eingerissen, hier wird gefeiert, wie es die Glitzerwelt in Film und Fernsehen vormacht.

Seit ein paar Jahren grassieren im Bekanntenkreis kurz vor den Sommerferien die Abibälle. Die aufwändig in Festsälen inszenierten Feiern haben in unserer an Ritualen armen Gesellschaft rasch Fuß gefasst. Kirchliche Feiern haben als Initiationsritus schon lange ausgedient, an staatlichen hatte sich Deutschland die Finger verbrannt. Blieb also noch der höhere Schulabschluss — bis Ende der 60er Jahre eine recht formelle Angelegenheit in der Aula.

Zu meiner Zeit waren Feiern verpönt, jedenfalls die, auf denen irgendwelche Autoritäten auftraten, und mein filmisches Bild einer Abschlussfeier stammte aus „Carrie” und hatte ein äußerst blutiges Ende. Das Zeugnis holte ich mir im Sekretariat ab — wahrscheinlich gab es noch einen Händedruck vom Rektor, das könnte ich aber nicht beschwören. Die Tür schloss sich zum letzten Mal hinter mir, und ich wollte nur raus und weg in eine Zukunft ohne Zwänge.
Heute werden weltweit wieder Traditionen gepflegt, werden die Feste von Jahr zu Jahr aufwändiger, gibt es schon Event-Agenturen, die für viel Geld die Organisation übernehmen. Was 2011 in für mehrere Schulen in Berlin und Brandenburg beinahe in einem Desaster endete, weil die Organisatoren im Internet einem Betrüger aufgesessen waren, der nur das Geld einkassiert hatte. Größer, schöner, weiter heißt es wie überall, das Drehen an der Leistungsspirale findet seinen Höhepunkt im perfekt organisierten Abiball in der perfekten Location mit perfektem Outfit.

Dann gibt es noch den kleineren Bruder des Abiballs, den Ball zum Mittleren Schulabschluss, der an Gesamtschulen und Sekundarschulen gefeiert wird und zu dem die Jugendlichen vor dem Haus in Kreuzberg wollen. Abschluss wie auch Feier sind etwas weniger schick, haben aber auch alles, was dazu gehört — festliche Kleider in jeder Länge und Farbe. schwindelerregende Highheels, dunkle Anzüge und enge Schlipse, Fotoshootings, Bar und Buffet. Hier trifft sich noch einmal die bunte Vielfalt der Gesellschaft, bevor die einen zum Abitur streben und die anderen in der Arbeitswelt ihr Glück versuchen. Es ist nicht perfekt, passt vielleicht hinten und vorne nicht so richtig, doch es ist die Feier, die das Miteinander beendet.

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