Positionsmeldung

Nora

Willkommen

Positionsmeldung erzählt von Reisen. Manche führen aufs Meer, manche nur ein paar Schritte vor die Haustür, manche ereignen sich auf Papier, auf Bühne und Leinwand oder virtuell.

Ich freue mich über Begleitung.

 

55° 8' 0'' N, 19° 38' 0'' E

 

 

Will man mit dem Boot von Polen nach Litauen, ist unter 110 Seemeilen nichts zu machen, so weit liegen die Häfen auf kürzestem Weg auseinander, wenn man einen Abstecher in die russische Föderation nach Kaliningrad vermeiden will. Das wollen wir, und wir wollen nach drei Wochen an der polnischen Ostseeküste, in schönen, aber unruhigen Häfen, und nach einem Zwangsaufenthalt auf der Werft endlich den Sprung ins Baltikum wagen.

Ein Fahrtenschiff segelt etwa fünf bis fünfeinhalb Knoten im Durchschnitt (mal ist der Wind stärker, mal schwächer, mal segelt man auf schnellem Kurs, mal langsamer), braucht also für diese Entfernung zwanzig bis vierundzwanzig Stunden. Die liegen vor uns — entweder mit Wind und mit Segeln oder ohne Wind und mit Motor.
Wir entscheiden uns für den Wind und starten mittags in Hel.

Eine Seefahrt, die ist lustig …

website blog 23Schnell ist sie vor allem und sehr schräg — ein starker Wind auf schnellem Kurs. Prima, so sind wir schön schnell da, denken wir. Prima, doch ein bisschen weniger könnte es zum Abend hin schon werden, denken wir nach sechs Stunden. Prima, doch jetzt reffen wir lieber, denken wir nach acht Stunden. Die Seemädchen kauen eifrig Spezialkaugummi gegen Reiseübelkeit, Wasser spritzt über das Deck und der Kapitän beobachtet konzentriert den Kurs, denn wir müssen und wollen dem russischen Hoheitsgebiet fernbleiben. Das Meer ist wie leergefegt, nur in der Ferne Patrouillenboote, später ein Frachter und eine Fähre. Wellen heben uns meterhoch, das Abendessen wird zum Abenteuer, vor allem für den Magen der Seefrau, die auf schwankenden Brettern den Nudeltopf festhält, während sich der Inhalt der Espressokanne auf dem Boden ergießt.

Rasch sinkt die Sonne ins Meer, wird der kühle Wind kalt, aber nicht schwächer, leuchtet ein Stern nach dem anderen auf über dem kleinen Schiff mit dem rot-weiß-grünen Licht im Mast. Allein für diesen Sternenhimmel lohnt sich die Fahrt, lohnen sich Schlafentzug, Übelkeit und ein Hintern, auf dem man kaum noch sitzen kann. Und ohne diesen Sternenhimmel kämen wir uns mächtig allein auf dem Meer vor. Irgendwie verkeilt im Boot suchen die Frauen den Schlaf, während der Kapitän in drei Lagen Fleece plus atmungsaktivem Ölzeug wacht, bis in der Morgendämmerung am Horizont die Hafeneinfahrt von Klaipeda auftaucht. Rekordverdächtig früh legen wir erschöpft an und schleppen uns den restlichen Tag durch verschiedenste Wachzustände.