Positionsmeldung

Nora

Willkommen

Positionsmeldung erzählt von Reisen. Manche führen aufs Meer, manche nur ein paar Schritte vor die Haustür, manche ereignen sich auf Papier, auf Bühne und Leinwand oder virtuell.

Ich freue mich über Begleitung.

 

33° 23' 23.208" S 70° 47' 39.937" W

  • geo: 33° 23' 23.208" S 70° 47' 39.937" W

website SantiagoDa waren wir also glücklich und sicher bei unseren Freunden in Villarica gelandet, schliefen in einem weichen Bett mit Blick auf den Vulkan und dachten: „Erstmal abwarten, wie sich die Lage entwickelt, wir haben Zeit, unser regulärer Rückflug geht in sechs Wochen, vielleicht schaffen wir es ja doch bis dahin nach Buenos Aires.” Was man halt so denkt, erst einmal, gerade an einem schönen Ort mit netten Menschen. „Bleibt bloß dort”, sagen auch die Freunde am Telefon. Die Camper-Gemeinde ist hauptsächlich auch dafür, sich einen sicheren Ort zu suchen und abzuwarten. Aus ganz Südamerika kommen die Nachrichten — wo sollen sie auch hin mit dem Wagen, die Grenzen zu den Nachbarländern sind dicht, die Häfen auch. Einige fahren an einsame Strände, andere auf abgelegene Campingplätze, wo ein netter Gastgeber die Einkäufe erledigt. 

So ist es auch bei uns, denn in der Stadt herrscht Aufregung, weil jemand aus Santiago das Virus hereingebracht hat. Wir leben abgeschieden und doch in Gemeinschaft, mit unseren Gastgebern und einer jungen Frau aus der Schweiz mit Kind, recht komfortabel, sogar für Monate. Sicherheitshalber trage ich uns doch auf die Krisenvorsorgeliste des Auswärtigen Amts ein, und ich bin erleichtert, als es nach zwei Tagen Serverüberlastung endlich klappt. Man weiß ja nie. Jeden Tag kommen neue, beunruhigende Nachrichten, inzwischen natürlich auch eine Reisewarnung und Rückholaktionen für andere Länder. Jeder zweite Flug wird annulliert und die Lage auf den Straßen ist unklar. Das Konsulat in Temuco rät auch eher zum Abwarten, wenn wir nicht dringend reisen wollen. Die Flugpreise schnellen in die Höhe und Direktflüge nach Deutschland gibt es nicht. Gerüchte über auf Flughäfen Gestrandete machen die Runde. Wir sind an einem sicheren Ort und bleiben. 

Im Netz bröckelt die Fraktion der Bleibenden, dafür bieten immer mehr Leute ihre Hilfe an, die auch dringend gebraucht wird. Campingplätze, Stellplätze, Rat und Tat. Sogar die strenge Zollbehörde Chiles erlaube nun eine Verlängerung der dreimonatigen Einfuhr eines ausländischen Fahrzeugs, heißt es. Dann kommt die Nachricht, dass die Botschaft sich um Rückholflüge aus Chile kümmert. Termine stehen noch nicht fest. Es gibt eine weitere Liste, auf die man sich täglich eintragen muss, um den Bedarf festzustellen. In der Anlage eine Art Passierschein für die Fahrt nach Santiago (nicht rechtsverbindlich und bei Ausgangssperren ungültig), sowie ein Formular zur Kostenübernahme des Flugtickets (diese Flüge sind nämlich nicht umsonst, sondern ganz regulär bezahlbar, nur kommt die Rechnung erst in der Heimat).

Sollen wir ohne einen Flugtermin nach Santiago? Kommen wir überhaupt durch? Und falls irgendwas schiefläuft, wie kommen wir wieder zurück? Michael schlägt einen Hubschrauberflug vor. Mein findiger Fahrer schaut mich an, ich schaue zurück. Nein, wir bleiben, und an diesem Abend fühlt es sich so richtig und gut an, dass auch das Hilfegesuch eines weiteren Schweizer Paars mit Campmobil auf ganz offene Ohren und Herzen stößt. Am nächsten Abend sind wir schon sechs Gestrandete. Mit unseren Gastgebern sind wir nun vier Frauen, drei Männer und zwei Kinder, die am Tisch zusammensitzen. Eine richtig nette Wohngemeinschaft auf Zeit. 

website blog flightEigentlich ist die Stimmung gut. Monatelang würde uns nicht der Gesprächsstoff ausgehen. Uns verbindet das Reisen: Michael und Stefanie, die Gastgeber, sind viel gereist vor ihrer Auswanderung nach Chile, die junge Schweizer Mutter zeigt ihrem Sohn die Welt, das Schweizer Paar hat die Wohnung vermietet, bei der Arbeit gekündigt bzw. pausiert und will acht Monate unterwegs sein. Nun ist Reisepause. Die beiden Kinder können spielen, die Erwachsenen relaxen oder wandern oder kochen oder ernten oder … gemeinsam zum privaten Strand spazieren. Ein Idyll, wenn uns nicht die Frage umtreiben würde: Should I stay or should I go. Natürlich ist das immer wieder Thema, denn im Netz kommen die Nachrichten in schneller Folge, es gibt eine nächtliche Ausgangssperre, alle müssen an ihren Wohnort zurück, immer mehr fliegen in die Heimat, und verständlicherweise macht sich unser Gastgeber Sorgen, wie es mit der Versorgung in ein oder zwei Monaten aussieht. Entspannung ist eher nicht in Sicht, die Menschen in Chile gehen auf die Straße, um die Regierung zu schärferen Maßnahmen zu bewegen. Wir würden jetzt sogar Flüge buchen, die vielleicht doch annulliert werden, doch es gibt keine mehr. Trotz der weichen Betten schlafen wir schlecht. Ich möchte nach Hause.

„Auf dem Schweizer Flug am Sonnabend, gibt es 100 Plätze für Deutsche”, sagt die junge Schweizerin, die sich mit ihrem Freund fürs Bleiben entschieden hat. „Bis zwölf soll man der Botschaft Bescheid geben.” Es ist fünf vor zwölf am nächsten Tag, und so schnell habe ich noch nie eine E-Mail getippt. Um halb sieben abends kommt die Bestätigung wieder mit Passierschein und dem Formular zur Kostenübernahme, das ich nun an die Schweizer Botschaft schicke. Zwischendurch haben mein findiger Fahrer und unser Gastgeber einen Mietwagen und ein Hotel in Santiago gebucht, den Wagen aus Temuco geholt (unser Wohnmobil wollen wir nicht auf unbestimmte Zeit am Flughafen abstellen). Ich buche den Flug von Zürich nach Berlin — eine weitere Auflage, wir dürfen nur im Transit nach Zürich fliegen. Und die Schweizerin mit Kind hat sich ebenfalls zum Rückflug entschlossen.

Am Freitag um sechs starten wir, buchstäblich bei Nacht und Nebel, zwei Mal werden wir auf der Panamericana kontrolliert, wird Fieber gemessen (alle unter 37,3), hilft das Ziel Flughafen. Noch wissen wir nichts außer der ungefähren Flugzeit am Samstag. Überall an den Ausfahrten steht Polizei, ab der letzten Zahlstation auf der Autobahn vor Santiago ist auf der Gegenseite Stau, nichts bewegt sich mehr. Im Hotel überall Desinfektionsmittelspender, viele Menschen mit Masken. So sieht es auch auf dem Flughafen aus, als wir den Wagen abgeben, doch niemand hält uns an, und um 19 Uhr kommt auch die lange Bestätigungsmail der Deutschen Botschaft mit dem Hinweis, man sollte bis spätestens halb zwölf erscheinen, der Flug ginge um 15:20, sie seien vor Ort.

Um zehn ist die Schlange am Flughafen vor den Schweizer Fähnchen schon ziemlich lang, aber niemand drängelt, alle bleiben ruhig. Um halb zwölf beginnt die Prozedur, die uns vorher in drei Sprachen erklärt wurde. 1: Fieber messen, 2: Papiere kontrollieren und Einverständniserklärung unterschreiben (der Flug kostet 1000 - 1500 Euro Schweizer Franken pro Person, die endgültige Summe wird auf der Rechnung stehen) 3. Gepäck abgeben und Bordkarte bekommen. Alles klappt wie am Schnürchen, beide Botschafter sind vor Ort und offensichtlich sehr zufrieden mit der Aktion.

Wir auch. Die Crew bekommt Szenenapplaus, die Botschafter wünschen uns eine gute Reise. Um halb vier hebt das Flugzeug ab, 25 Stunden später steigen wir auf dem leeren Züricher Flughafen in das halbleere Flugzeug nach Berlin.

 
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