59° 24' 8'' N, 24° 12' 14'' E
Der Wind hat den Vormittagsregen vertrieben, lichtblau wölbt sich der Himmel über Bucht und Kiefernwald bei Lohusalu. Ein Wrack rostet zwischen Steinen, die nur ein Riese vor Urzeiten ins Wasser geworfen haben kann. Am Horizont zwei Segler. Heute wird der Hafenmeister wohl noch mehr Gastflaggen hissen — bei höchstens einem Boot pro Land im Hafen wehen die Fahnen ganz individuell für jedes Schiff.
Um Flaggen kommt man beim Segeln nicht herum. Pflicht sind die Heimatfahne, am Heck und die Gastlandsflagge am Mast steuerbords. An Backbord flattern Vereinswimpel und hie und da kreuzen auch Piratenflaggen auf der Ostsee. In den skandinavischen Ländern weht die Nationale am Heck häufig so groß, dass die untere Spitze bis ins Wasser reicht, und bei Sonnenuntergang wird eingerollt und eingeholt. Ein Brauch der Marine, der aus Zeiten stammt, in denen man teures Tuch schonen musste.
Ich habe ein eher ambivalentes Verhältnis zur Nationalflagge, selbst auf Drängen der Kinder klemmte im Fußballsommer kein Fähnchen am Auto. Lange Zeit lebten wir gut mit einer schon recht verblichenen Flagge des Vorbesitzers am Heck der Volver. Irgendwann waren die Farben kaum noch zu unterscheiden, und der Kapitän erstand eine neue, recht kleine Fahne, die dann fröhlich am Achterwand flatterte, bis der Wind die Ecken zerschliss. Nun sind wir bei eine mittleren Größe angelangt, die Patrouillenboote und Zoll auch auf einige Entfernung erkennen.
Und als der Hafenmeister in Lohusalu, kurz nachdem wir angelegt haben, noch einmal herauskommt und die deutsche Flagge hochzieht, freuen wir uns über die nette Geste ebenso wie über das “Welcome", die freundliche Begrüßung nach einem langen Segeltag, den wir zu dritt verbracht haben, denn im letzten Hafen ist ein weiterer Seemann an Bord gestiegen, um sich vom Märchenland bezaubern zu lassen.