„Come in!” Der freundliche Kapitän winkt uns herein auf die Brücke, in der gut geschützt gesteuert wird, sowie das Meer draußen und die vielen Anzeigen drinnen überwacht werden. Während der Fahrt sind sie zu zweit auf der Brücke, beim Anlaufen eines Hafens wesentlich mehr, doch dann haben wir Passagiere dort sowieso nichts zu suchen. Aber jetzt ist es ruhig und wir suchen gerne Schutz vor Wind und Regen hinter den großen Scheiben, über die meterlange Scheibenwischer fahren. Die Brücke misst etwa zehn mal fünf Meter und ist beinahe auf der ganzen Breite mit Stahlkästen bestückt, auf denen die Instrumente ruhen. Kurz waren wir schon einmal zur Sicherheitseinweisung hier, aber nun ist es natürlich viel interessanter. Der Mann schaut sich alles genau an, die Instrumente haben andere Dimensionen und sind auch viel genauer als auf unserem Segelboot.
Wir erfahren auch, dass wir nach Le Havre noch einmal im spanischen Vigo und in Dakar Halt machen. Auf einem Linienfrachter werden nur die Häfen angelaufen, wo Fracht aufgenommen oder abgeladen wird. Das kann sich offensichtlich sehr kurzfristig ergeben, Zeiten und Häfen ändern sich von Tag zu Tag. Der Kapitän wird die Strecke zwischen Europa und Südamerika noch bis Mai befahren. Zirka zwei Monate dauert eine Runde.
Der Frachter taucht in die Wellen und hebt sich mit ihnen, Wind treibt uns über das Deck. Am Horizont zeigt sich ein Fitzelchen Blau. Wir haben Glück mit dem Wetter; das finden alle. Die See ist moderat bewegt, nur ab und zu ein Schauer, kein Dauerregen und bisher sogar mehr Sonne als grauer Himmel.
So sind wir beim Essen immer noch komplett, meist sortieren sich die beiden Fünfertische nach Sprachen: ein französischer und ein deutsch/englischer. Bei drei Mahlzeiten am Tag sind die Grunddaten schnell abgefragt. Wer begibt sich auf so eine Reise, bei der noch nicht einmal der Beginn genaue festgelegt ist und schon gar nicht die Ankunft? Wahrscheinlich erreichen wir irgendwann in der ersten Dezemberhälfte unser Ziel. Fred und Giles etwas eher, denn sie steigen schon in Rio aus, um vom dort ihre Reise fortzusetzen. Fred wird nach Santiago fliegen, Giles wird zu Fuß aufbrechen. Alle anderen verlassen mit dem jeweiligen Fahrzeug in Montevideo das Schiff, Jacques und Marie starten eine Rundreise, um Freunde in Chile und Argentinien zu besuchen, Lucia und Hugo werden zu Verwandten in Brasilien aufbrechen und Rita und Erwin werden, genau wie wir, sich bis April von Ort zu Ort treiben lassen.
Und was machen wir an Bord, wenn wir nicht an Deck den Winden trotzen? Wir lesen, lernen Spanisch, wälzen Reiseführer und sind pünktlich zu den Mahlzeiten in der Offiziersmesse. Morgens um halb acht, mittags um 11 und abends um sechs. Inzwischen sind wir so weit nach Süden gefahren, dass wir zum Frühstück einen Sonnenaufgang gratis bekommen. Hinter zusammengeschobenen, geballten oder locker aufgetürmten Wolken strahlt es hell, überzieht das Meer mit rötlichem Glanz, geht sanft ins Goldene über. Ein weiterer Tag auf See bricht an.